Nordrhein-Westfalen:Taten von Marcel H.: "Noch kein Fall, der mich so betroffen gemacht hat"

Lesezeit: 3 Min.

  • Der festgenommene Marcel H. hat im Polizeiverhör zugegeben, sowohl den neunjährigen Jungen Jaden als auch einen 22-jährigen Mann in dessen Wohnung getötet zu haben.
  • Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Mord vor, als Mordmerkmale gibt sie Heimtücke und Mordlust an.
  • Nun wird geprüft, ob Marcel H. schuldfähig ist.

Von Martin Anetzberger und Oliver Klasen

"Uns allen ist eine Zentnerlast vom Herzen gefallen", sagt Gregor Lange. Der Dortmunder Polizeipräsident bringt bei der Pressekonferenz am Freitagnachmittag das Gefühl zum Ausdruck, das derzeit unter den Menschen im Ruhrgebiet herrscht. Drei Tage lang hat ein grausames Verbrechen die Region in Schock versetzt. Ein neunjähriger Junge wird getötet, der mutmaßliche Täter, ein 19-Jähriger aus der Nachbarschaft, flüchtet und ist drei Tage lang verschollen und begeht noch ein weiteres Verbrechen, ehe er am Donnerstag in einer Imbissbude auftaucht und selbst die Polizei ruft.

Keine 24 Stunden ist es her, dass Marcel H. sich gestellt hat. "Es war ein Täter, der wegen seines Vorgehens große Ängste und Sorgen in der Bevölkerung ausgelöst hat. Er kann nun keinem mehr gefährlich werden", sagt Lange und schränkt dann ein: "Die Nachricht, dass er festgenommen wurde, wird die Trauer der Angehörigen nicht lindern können."

Inzwischen ist offenbar sicher, wer das zweite Opfer ist. Es handelt sich um einen 22-jährigen Mann aus Herne. Er wohnte in der ausgebrannten Wohnung, zu der Marcel H. die Beamten kurz nach seiner Festnahme schickte. Marcel H. und er sollen sich auf einem Berufskolleg kennengelernt und öfter zusammen Computer gespielt haben. Nach der ersten Tat am Montag soll H. unter einem Vorwand Unterschlupf bei dem 22-Jährigen gesucht und auch bei ihm übernachtet haben. Am nächsten Vormittag habe ihn sein Bekannter damit konfrontiert, dass er wegen Mordes gesucht werde. Daraufhin soll H. den 22-Jährigen getötet haben.

Wie die rechtsmedizinische Untersuchung ergab, wies die Leiche 68 Messerstiche auf, am Hals fanden sich außerdem Würgemale. Die Spuren deuten auf das hin, was Kriminalisten "übertöten" nennen. Eine Tatausführung, bei der zur Tötung eines Menschen viel mehr Gewalt als nötig eingesetzt wird und die auf eine besondere Grausamkeit oder Mordlust schließen lässt.

Mordlust und das Töten auf heimtückische Art soll auch im Fall des getöteten neunjährigen Jaden F. eine Rolle gespielt haben. Beides sind dem Strafgesetzbuch zufolge Merkmale, die einen Täter als Mörder qualifizieren und bei einer Verurteilung nach Erwachsenenstrafrecht zwingend zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe führen.

Die Staatsanwaltschaft in Bochum hat inzwischen auch die Tat an Jaden F. weitgehend rekonstruiert: Marcel H. hat demnach bei den Nachbarn geklingelt, der Neunjährige öffnete ihm die Tür. Der 19-Jährige habe den Jungen gebeten, ihm bei Reparaturarbeiten die Leiter zu halten und das Kind so in den Keller des Hauses gelockt. Dort tötete er Jaden F. mit 52 Messerstichen.

Beide Taten - die an dem neunjährigen Jaden F. vom Montag und die Tötung des 22-Jährigen - hat Marcel H. inzwischen gestanden. Auch die Brandstiftung hat er zugegeben. Das Feuer habe er gelegt, um Spuren zu verwischen. Weitere Tötungsdelikte, so sagt Klaus-Peter Lipphaus, der Leiter der Mordkommission in Bochum, schließe man derzeit aus. In einem anonymen Internet-Chat waren am Mittwoch Details über ein mutmaßliches Verbrechen an einer Frau aufgetaucht. Sie soll gefoltert worden sein, um an Bank- und andere persönliche Daten zu kommen. Wer diesen Eintrag gemacht hat und in welcher Verbindung er zu Marcel H. steht, ist unklar.

Unklar sind auch noch viele weitere Details. Zum Beispiel, was genau ihn letztlich dazu getrieben hat, sich zu stellen. "Für uns ist der Fall nach der Ergreifung des Täters nicht beendet", sagt Kerstin Wittmeier, die Polizeipräsidentin von Bochum. Sie habe in ihrer beruflichen Laufbahn "noch keinen Fall gehabt, der mich persönlich so stark betroffen gemacht hat". In den Vernehmungen habe H. "eiskalt" gewirkt.

Das schilderte auch der Bochumer Mordkommissionschef Lipphaus. Im Verhör habe H. ausgesagt, er habe sich am Tattag zunächst selbst umbringen wollen. Zwei Versuche seien allerdings gescheitert, worauf Marcel H. sich entschieden habe, jemanden zu töten, um ins Gefängnis zu kommen.

Ob es allein das war, das ihn zu den Taten getrieben hat, müssen die Ermittler in den kommenden Tagen herausfinden. Über die Persönlichkeit des 19-Jährigen gibt es bisher nur wenige Informationen. Er soll Einzelgänger gewesen sein, Kampfsport betrieben haben, computerspielsüchtig gewesen sein und sich in Chatrooms betätigt haben. Außerdem gibt es einem Spiegel-Bericht zufolge Informationen, dass Marcel H. eine Vorliebe für alles Militärische gehabt haben soll. Er habe sich bei der Bundeswehr beworben, sei jedoch dort nicht angenommen worden.

Marcel H. erinnere sich sehr detailliert an die Taten, sagte Danyal Maibaum, der zuständige Staatsanwalt aus Bochum. Ob er tatsächlich schuldfähig ist, muss aber noch geprüft werden.

© SZ.de/dpa/AFP - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: