Niedersachsen:Christian Wulff: Rantasten in Goslar

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Christian Wulff nahm im Bergwerk Rammelsberg in Goslar an einer Veranstaltung zum Thema "Leben in der Öffentlichkeit" teil. (Foto: Swen Pförtner/dpa)

Der frühere Bundespräsident will sein Image verbessern. Das Einzige, was er dafür tun kann: Nicht den großen Zampano geben. Gelingt ihm das? Ein Ortstermin.

Von Thomas Hahn, Goslar

Christian Wulff freut sich sehr, und er strahlt eine staatsmännische Heiterkeit aus, mit der er nach seiner Ankunft im Weltkulturerbe Rammelsberg gleich mal das Protokoll in Gefahr bringt. Der frühere Bundespräsident kennt das stillgelegte Bergwerk von Goslar gut, schließlich hat er die meiste Zeit seiner politischen Karriere in Niedersachsen zugebracht, und Wulff fühlt sich derart ortskundig, dass er seinen Begleitern eine kurze Führung über die Anlage gewähren will.

Das geplante Abendessen vor der Podiumsdiskussion zum Thema "Was inspiriert Menschen zu einem Leben in der Öffentlichkeit?" findet trotzdem noch statt. Und als Wulff später einigermaßen pünktlich auf der kleinen Bühne in der Waschkaue sitzt, sagt der Moderator Andreas Rietschel, Chefredakteur der Goslarschen Zeitung, "Herr Wulff" zu ihm und nicht "Herr Bundespräsident". Es ist ein bisschen so, als würde Christian Wulff den Goslarern vor lauter Heimatliebe das Du anbieten.

Begünstigt vom Hannoverschen Jetset

Christian Wulff, 56, findet gerade sein Leben nach dem Sturz. Er ist der umstrittenste Bundespräsident, den Deutschland je hatte. Eine Affäre trägt seinen Namen, es ging dabei um vermeintliche Bestechlichkeit und Ungeschicklichkeiten im Amt, welche die deutsche Öffentlichkeit ab Ende 2011 lange sehr beschäftigten. In der Geschichte ist Wulff seither vermerkt als jenes Staatsoberhaupt, das dem Vorwurf ausgesetzt war, als niedersächsischer Ministerpräsident vom Hannoverschen Jetset begünstigt worden zu sein. Die Staatsanwaltschaft ermittelte. Wulff trat 2012 nach noch nicht einmal zwei Jahren als Bundespräsident zurück. Es gab einen Prozess gegen ihn wegen Vorteilsgewährung und Vorteilsannahme. Am Ende war dann nicht viel übrig von den Vorwürfen. Beobachter bewerteten den ganzen Vorgang als überzogen. Wulff wurde freigespochen. Alles gut?

Wiedergutmachung gibt es in solchen Fällen nicht. Wulff kriegt die Affäre nicht mehr raus aus den Geschichtsbüchern. Er kann eigentlich nichts anderes tun, als nachsichtig zu sein, gelassen, und sich allmählich wieder aufrappeln. Solche Veranstaltungen wie die am Mittwoch in Goslar haben für Wulff deshalb eine wichtige Funktion. Sie finden im kleinen Rahmen, aber vor Publikum und Medien statt. Da kann er wieder mal was sagen, das ein Echo findet, ohne gleich den ganz großen Zampano zu geben. So tastet sich Wulff vorsichtig zurück in die Öffentlichkeit.

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Christian Wulff fühlt sich jedenfalls sichtlich wohl beim Podiumsgespräch aus der Reihe "Der Berg ruft - Zukunft fördern", welche die Stadt Goslar mit dem Weltkulturerbe-Standort und einem örtlichen Gastronomie-Dienstleister veranstaltet. Und das Publikum wiederum, das zahlreich erschienen ist, darf sich von ihm auf unterhaltsame Weise zum Nachdenken angeregt fühlen. Denn dieser Wulff, der da oben auf der Bühne mit offenem Hemdkragen und legerem Anzug sitzt, findet einen guten, unaufgeregten Ton, in dem er Zweifel und Optimismus zu einem Plädoyer für die moderne Demokratie zusammenband.

Die politische Streitkultur leidet in Zeiten von Pegida und AfD an einer fast manischen Kritikwut in sozialen und anderen Medien. Das Geschrei nach einfachen Lösungen für komplexe Probleme schreckt Menschen davon ab, politische Ämter zu bekleiden und somit aktiv teilzuhaben am Versuch der Weltverbesserung. Das beobachtet Wulff. Darüber möchte er reden, um wieder mehr Ausgewogenheit und Inhalte in die aufgeregte, auf Klamauk gebürstete Gesellschaft zu bekommen. Er sagt: "Die Heute-Nachrichten sind immer noch wichtiger als die Heute-Show."

Mit Wulff sitzt Julia Engelmann auf dem Podium, die Bremer Sprachkünstlerin, die 2013 mit einem gedichteten Appell gegen Zögern und Zweifeln ein Millionen-Publikum erreichte und unter anderen auch Christian Wulff inspirierte. Eine 23-jährige Jugendkultur-Vertreterin und ein gesetzter Ex-Bundespräsident. Das passt eigentlich nicht gut zusammen. Die persönlichen Lebenswirklichkeiten der beiden liegen zu weit auseinander, als dass sie gewinnbringend miteinander hätten debattieren können. Immerhin kann Christian Wulff eine Frage stellen, die ihn brennend interessierte: Ist die Jugend von heute wirklich so verdrossen und weltabgewandt, wie sie es manchmal zu sein scheint? Julia Engelmann kann nicht für ihre ganze Generation antworten, aber sagt immerhin: "Was meine Freunde und mich angeht, brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen."

Irgendwann kommt Christian Wulff zu seinen eigenen Erfahrungen mit Paparazzi und einer ehrabschneidenden Berichterstattung, die er offensichtlich gerade Fall für Fall mit seinen Anwälten aufarbeitet. "Ich bin da auf einem guten Wege", sagt er, "es ist alles im Griff." Aber verheilt sind die Verwundungen noch nicht, das hat er nicht verbergen können.

"Es war unverhältnismäßig. Es war eine Hexenjagd. Es war gegen das Prinzip der Unschuldsvermutung." Und ihm geht bis heute von manchen Berichterstattern eine Entschuldigung ab. "Es war unter aller Kanone. Bis heute gibt es keinen Stil, keinen Umgang. Das tut bis heute weh", sagte Wulff. "Es wäre schön, wenn man mit einem gewissen Agreement die Dinge im Maß hält. Aber Maß gab es nicht."

Die Lehren daraus? Ratschläge für Julia Engelmanns Prominentenleben? Wulff hat nur einen: "Schützen Sie Ihr Privatleben von Anfang an." Wobei er da an die Grenzen seiner Medienkritik stößt. Es gab schließlich Zeiten, in denen Christian Wulff ganz froh war, in der Öffentlichkeit als stattlicher Mensch mit hübscher Frau dazustehen. Es spricht der frühere Wahlkämpfer Wulff, als er zugibt: "Ich hatte die Notwendigkeit, bekannt werden zu müssen."

Er lobt Merkel - und sich selbst

Christian Wulff hat eindeutig mehr Redezeit als Julia Engelmann. Aber das hat seine Richtigkeit. Er hinterlässt einen ziemlich anschaulichen Eindruck vom Weltbild eines modernen Konservativen. Den Stolz auf die Nation will er pflegen im Rahmen eines starken Staatenbundes, weil Großthemen wie Flüchtlingssituation und Klimawandel nur als vereintes Europa zu stemmen seien.

"Multikulti ist gescheitert", sagt Wulff - weil Multikulti für ihn das beliebige Aufeinanderprallen verschiedenster Mentalitäten ist. "Aber Multikulturalismus, das ist die Zukunft dieser Welt": ein buntes Volk, das sich auf klare Regeln des Zusammenlebens festlegen lässt. Er lobt Angela Merkel unter anderem dafür, dass sie seinen Bundespräsidenten-Satz vom Islam, der zu Deutschland gehöre, heute selbst aufgreift, und lobt sich damit natürlich auch selbst. Er lobt auch Vizekanzler Sigmar Gabriel von der SPD, womit er im Publikum wahrscheinlich zusätzliche Punkte macht, weil Gabriel aus Goslar stammt. Er ist überhaupt der Meinung, dass mehr gelobt werden sollte.

Christian Wulff wirkt ganz zufrieden in seiner Rolle als Ex-Bundespräsident, der Demokratie-Werbung an der Basis betreibt. "Das ist jetzt meine Mission", sagt er, "das unmittelbare Gespräch mit den Menschen zu suchen." Und als das Podiumsgespräch zu Ende war, genießt er den warmen Applaus der Leute.

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