Das Bellevue in Berlin ist es nicht, aber schön ist es auch im Tutzinger Schloss. Für Christian Wulff, den Bundespräsidenten a. D., haben sie am Starnberger See den großen Saal erleuchtet, von innen mit prächtigen Lustern an der Decke und von außen mit Scheinwerfern vor den Fassaden. Das hereinfallende Licht zeichnet Schattenornamente der schmiedeeisernen Fenstergitter an die hohen Wände, der Nachwuchs des Bayerischen Symphonieorchesters spielt Beethovens Serenade in D-Dur, op.25 für Flöte, Violine und Viola, Kameramänner tragen Anzüge, und vorne im Saal steht ein Rednerpult.
Festlich ist es, fast so wie früher, wenn Wulff in seine Berliner Residenz einlud, als Staatsoberhaupt, um Weihnachten eine Rede zu halten oder das Bundesverdienstkreuz zu verleihen. Später wird Udo Hahn, der Direktor der Akademie, die feine, geladene Gesellschaft in die Salons einladen, zu Speisen und "guten Gesprächen". Man kann also sagen: Christian Wulff ist wieder salonfähig.
Sieben berühmte Wörter
Am Donnerstagabend erhielt der Niedersachse den Toleranzpreis der Evangelischen Akademie Tutzing. Zu diesem Anlass reiste Wulff weit, bis ins südliche Bayern, er reist überhaupt wieder viel in diesen Tagen. Vergangene Woche war er auf dem Jakobsweg, sein Teint ist der eines Wanderers unter strahlender Sonne.
Vor zwei Wochen war er in der Türkei. Wulff ist dort ein gern gesehener Gast, weil er einige Zeichen gesetzt hat zur Verständigung zwischen Muslimen und Christen, Türken und Deutschen, Einheimischen und Ausländern. Sein berühmtestes Zeichen besteht aus sieben Wörtern, ausgesprochen am 3. Oktober 2010 in Bremen anlässlich der damaligen Feier zur Tag der Deutschen Einheit: "Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland."
Sieben Wörter, für die ihn nun die Akademie mit dem Toleranzpreis auszeichnet und die auch das ganze Erbe des ehedem jüngsten Bundespräsidenten überschreiben. Aber eben auch des Staatsoberhauptes mit der kürzesten Amtszeit. Wulff ist ja beides, und in der Kürze seiner Amtszeit und allem, was danach kam, liegt auch der Grund dafür, dass er nicht immer als ganz so salonfähig galt.
Den Skandal-Wulff wollte man nicht auszeichnen
Die Tutzinger Jury, angeführt von Günther Beckstein, dem ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten, hätte Wulff schon früher ehren können, im Grunde: müssen. Sie verleiht den Preis seit dem Jahr 2000 alle zwei Jahre, Wulff hätte also schon 2012 für seine dann zwei Jahre zurückliegende Integrationsrede geehrt werden können.
Doch dann hätte man einen Ex-Präsidenten einladen müssen, den das ganze Land zu dieser Zeit für einen Schnäppchenjäger hielt, weil eine wild gewordene Armada von Ermittlern unter jedem Stein nach einem nicht quittierten Vorteil suchte. Einer Reise, einem Essen, einer Übernachtung, einem Kinderspielzeug. Die Medien flankierten das mit einem Trommelfeuer aus Überschriften und Verdächtigungen, "meilenweit sind da die Grenzen überschritten worden", sagt Günther Beckstein an diesem Donnerstag in seinen Begrüßungsworten für Wulff: "Aber das ist nicht der Grund, warum Sie ausgezeichnet wurden."
Kein Trostpreis also soll es sein für den geschundenen Christian Wulff, 55, dessen Weg zurück in die Öffentlichkeit noch immer genau beobachtet wird. Es sind ja Wunden geblieben, auch er geht auf seiner Dankesrede wie beiläufig in einem Nebensatz auf die "Klickzahlen bei Skandalisierungen" ein, auf das Tempo der Medien beim Erklären der Welt, beim Unterscheiden zwischen Recht und Unrecht, ohne sich selbst zu erwähnen.
Aber die Bitterkeit schwindet mit jedem Auftritt, den Wulff nach seinem Freispruch vom Vorwurf der Vorteilsannahme im Februar 2014 durch das Landgericht Hannover macht. Er hat ein Buch geschrieben in eigener Sache, er hat sich in einer Talkshow gestellt zu seinem Fall. Jetzt, ganz langsam, darf man sich mit dem eigentlichen Erbe Wulffs beschäftigen: Was ist denn geblieben von ihm, als Politiker?
Wulffs Haltung werde gewürdigt, nicht nur ein Satz
Viel mehr, als viele denken, findet zumindest Hilal Sezgin. Sie ist Wulffs Laudatorin an diesem Abend im Tutzinger Schloss, sie glüht vor Freude für den Geehrten, die Worte sprudeln aus ihr heraus. Kluge Worte. Frau Szegin ist Schriftstellerin und Journalistin und Philosophin und war nahe dran am Präsidenten Wulff; er hatte sie öfter eingeladen, um in kleiner Runde große Themen zu besprechen. Wulffs "Haltung zur offenen Gesellschaft" sei es, die ausgezeichnet würde, nicht nur dieser eine, mutige Satz zum Islam und dessen Zugehörigkeit zu Deutschland.
Wulff habe durch sein entschlossenes Eintreten für Muslime, für Integration, für eben eine offene Gesellschaft so viel Empörung hervorgerufen, dass ihn aufgebrachte Medien - speziell der Focus mit einem Titelbild, das Wulff mit "Türkenschnauzer und Käppi" (Sezgin) zeigte - zum "Ausländer ehrenhalber" geadelt hätten. Zum Dank für diesen "vermeintlich, aber eben nicht wirklich selbstverständlichen Satz, der Islam gehöre inzwischen auch zu Deutschland, wurden sie als Muslim beschimpft, obwohl sie gar keiner sind. Das schafft auch nicht jeder."
"Ich freue mich aufrichtig"
Der Preis für Toleranz tut Wulff gut, keine Frage. Er ist eine Anerkennung, die seine Amtszeit über die Superlative "jüngster" und "kürzester" Bundespräsident weit hinaushebt: "Ich freue mich aufrichtig." Andere haben Wulffs Beitrag zur Verständigung der Religionen eh schon früh erkannt, er durfte im türkischen Parlament reden und ist Ehrenbürger von Tarsus, dem Geburtsort des Apostels Paulus. "Eigentlich", sagt er, "habe ich gar nichts Besonderes gemacht. Ich wünsche mir nur, seitdem ich lebe, dass man dem anderen so begegnet, wie man möchte, dass er einem selbst begegnet. Mit Respekt und Wertschätzung."
Eine letzte Musik, dann öffnen sich die Türen zu den Salons, zum Essen und guten Gesprächen. Mit dem Bundespräsidenten a. D.