New York:Am Boden zerstört

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Ratte Rose, die Hauptdarstellerin, trinkt in ihrer Garderobe aus einem Glas Wasser. Das war wenige Tage vor ihrem Tod. (Foto: Nicole Bengiveno/The New York Times)

Gerade erst hatte es eine Ratte namens Rose, die von der Straße gerettet wurde, zum gefeierten Broadway-Star gebracht. Nun kam sie bei einem Unglück ums Leben.

Von Titus Arnu

Durchschnittsratten sind bei Menschen ungefähr so beliebt wie Hämorrhoiden. Je mehr Ratten auf einem Haufen, desto größer der Hass. New York gilt als Welthauptstadt der Nagetiergattung. Die Annahme, dass auf jeden der 8,4 Millionen Einwohner eine Ratte kommt, mag ein urbaner Mythos sein - doch Experten schätzen, dass mindestens zwei Millionen dieser Tiere in der Metropole leben. Die Ratten in New York City seien eine "Institution", sagte Bürgermeister Bill de Blasio einmal, "aber eine, die wir gerne loswerden würden." Die Stadt bekämpft die Plage mit Gift, die Todesrate unter den Todesratten ist hoch.

Ratten haben es von Haus aus schwer, sich in die Welt der Reichen und Schönen hochzuarbeiten. Sie müssen sich überall durchbeißen. Manche leben trotzdem den amerikanischen Traum und schaffen es vom Kellerzischer zum Müllionär, die Ratte Rose etwa stammt aus der Gosse und brachte es zum Broadway-Star. Doch nur wenige Tage nach ihrem Theaterdebüt endete die Karriere dramatisch. Rose habe auf Regalen gespielt, als sich plötzlich ein Metallfach gelöst und das Tier erschlagen habe, sagte ihre Trainerin Lydia DesRoche nun. "Es war ein schrecklicher Unfall."

Eine Kuss-Szene mit der Ratte musste immer wieder geprobt werden

Die spektakuläre Lebensgeschichte von Rose begann auf der Straße, genau gesagt auf dem Mittelstreifen des West Side Highway in Manhattan. Dort war sie im vergangenen Sommer mit Hunderten Artgenossen gefunden worden. Alle waren Albinos mit weißem Fell und rosa Augen. Solche Ratten werden oft als Schlangenfutter, Versuchs- oder Haustiere gezüchtet. Tierschützer brachten Rose und einige ihrer Verwandten zu Trainerin Lydia DesRoche, die eine Ratte für das Broadway-Stück "The Curious Incident of the Dog in the Night-Time" suchte. In dem Theaterstück, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Mark Haddon, geht es um einen autistischen Teenager, dessen bester Freund eine Ratte namens Toby ist.

Es wurden mehrere Ersatztiere für die Ratten-Rolle geschult. Als der eigentliche Toby-Darsteller wegen Krankheit passen musste und der Ersatz namens Tulip keine gute Performance zeigte, witterte Rose ihre Chance. Die New York Times war begeistert und lobte in ihrer Besprechung Rose, die "Ratte mit der besonderen Vergangenheit". In dem Stück muss die Ratte aus einem Käfig hüpfen und die Hauptfigur auf die Nase küssen. Am vergangenen Montag, einem vorstellungsfreien Tag, probten Ratten und Menschen bei Lydia DesRoche zu Hause die heikle Szene. Rose hatte sich lange geziert. "Sie war gerade dabei, sich zu öffnen", sagt die Tiertrainerin. Doch dann kam es zu dem Unglück. DesRoche war in der Küche, als sie es scheppern hörte. Rose lag reglos unter einem eisernen Regalfach, begraben von Aktenordnern und Papier. "Sie starb auf dem Weg zum Tierarzt", berichtet die New York Times; aus Gründen der Pietät verzichtet die Zeitung auf die Beschreibung der schweren Verletzungen. Rose wurde nur acht Monate alt. Nun muss Tulip die Rolle vorerst alleine übernehmen. Wer nur könnte auf Dauer die begabte Rose ersetzen?Lydia DesRoche ist ratlos. Und wie Rose, aber nur im übertragenen Sinn, am Boden zerstört.

© SZ vom 29.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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