Niels H., ein Massenmörder?
Der Richter macht dem Angeklagten noch einmal klar, um was es jetzt geht. Um seine Zukunft, um die Wahrheit, um alles. "Ich kann Ihnen nur raten, dass Sie die Wahrheit sagen, und zwar die umfassende Wahrheit. Das, was Sie jetzt sagen, ist der Maßstab, an dem Sie in den nächsten Jahren gemessen werden." Richter Sebastian Bührmann ist sehr eindringlich. "Sie können sagen: Das ist alles Quatsch oder auch: Da ist noch viel mehr. Es muss nur die Wahrheit sein."
Die Wahrheit könnte sein, dass der Angeklagte Niels H. der größte Massenmörder der deutschen Nachkriegsgeschichte ist. Er steht wegen drei Morden vor Gericht, hat aber mindestens 30 Morde zugegeben. Und die Polizei ermittelt mittlerweile in mehr als 170 Fällen.
30 Tote, 60 Mordversuche
Es ist Donnerstag, 9.30 Uhr, als der Angeklagte zu sprechen beginnt. Er sagt nicht, dass das alles nur Quatsch ist. Er redet. Er redet über die drei Morde und zwei Mordversuche, derentwegen er jetzt vor dem Landgericht Oldenburg steht. Er redet aber noch über viel mehr.
Über Dutzende von Morden, die er in seinem Dienst als Krankenpfleger verübt hat. Er tut das offen, ohne Schnörkel, von großer Klarheit. Von 30 Toten spricht er und von 60 Mordversuchen. Rund 90 Mal habe er Patienten im Klinikum Delmenhorst das Herzmittel Gyluritmal gespritzt, das zu schweren Herzrhythmusstörungen führt. Dann sei er herbeigeeilt und habe reanimiert. "Die Zahlen, die Sie genannt haben, sind Mindestzahlen?", fragt der Richter. "Das sind nur geschätzte Zahlen", sagt der Angeklagte. Er kann sich nicht mehr genau erinnern. "Aber dass die massiv nach oben schnellen, heißt das auch nicht."
Niels H. ist ein großer Mann, massig, dunkle Haare, schwere Lider. 38 Jahre ist er jetzt alt, seit sechs Jahren sitzt er in Haft. Er wird dort sehr lange bleiben. Die Staatsanwalt fordert eine lebenslange Gefängnisstrafe
Ex-Pfleger in Niedersachsen:Landtag will Sonderausschuss zu Krankenhaus-Morden
Ein Ex-Pfleger hat vor Gericht zugegeben, Dutzende Krankenhaus-Patienten mit einer Überdosis an Herzmedikamenten getötet zu haben. Wegen Mordes steht er derzeit in Oldenburg vor Gericht. Nun will auch Niedersachsens Landtag den Fall untersuchen.
Angeklagter will nur am Klinikum Delmenhorst gemordet haben
Der Richter fragt nach: "Gab es außerhalb von Delmenhorst Fälle, wo Sie so etwas gemacht haben?" Der Angeklagte legt sich fest: "Es gab außerhalb von Delmenhorst keinen Fall, wo ich manipuliert habe oder Gyluritmal gespritzt habe." Dabei hat das Krankenhaus Oldenburg, wo Niels H. einige Jahre arbeitete, mindestens zwölf unerklärliche Todesfällen während der Dienstzeit des 38-Jährigen nachgewiesen.
Das weiß der Richter. "Es wäre fatal für Sie, wenn die Ermittlungen etwas anderes ergeben würden", beschwört er Niels H. Doch der bleibt dabei. Außerhalb von Delmenhorst sei nichts gewesen. "Ich bin mir der Tragweite dieser Antwort bewusst", sagt er. Noch einen Versuch macht der Richter: "Nichts im Rettungsdienst, nichts im Altersheim, nichts in Wilhelmshaven davor?" Überall dort hat Niels H. gearbeitet. "Nein", sagt Niels H. Dreimal Nein.
"Niedergeschmettert", wenn Reanimation nicht gelang
Und dann berichtet er, dass er sich nach seinem Ausscheiden aus dem Klinikum Oldenburg in Delmenhorst völlig unterfordert gefühlt habe, dass er die Herz-Krisen der Patienten hervorgerufen habe, zur Reanimation kam und sich danach sehr gut gefühlt habe. "Ein erhobenes Gefühl", sagt er. "Meistens war es so, dass die Entscheidung, das zu tun, relativ spontan war."
"Und wenn die Reanimation nicht erfolgreich war?", fragt der Richter. "Dann war ich niedergeschmettert." - "Kamen da auch Gedanken, das mache ich nicht wieder?" Niels H. antwortet: "Kurzfristig, aber das verblasste."