Mordprozess erschüttert die USA:Ein Land klagt an

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In Florida hat der Prozess gegen Casey Anthony begonnen. Die alleinerziehende Mutter soll ihre zweijährige Tochter Caylee getötet haben - um ausgelassen feiern zu können.

Reymer Klüver

Es ist schon jetzt der Mordprozess des Jahres. Und nicht wenige ziehen Parallelen zum Sensationsverfahren gegen den gefallenen Football-Star O. J. Simpson in den neunziger Jahren, als die Nation am Fernsehschirm gebannt sämtliche Details verfolgte. Damals endete der Prozess mit einem Freispruch, weil die Geschworenen letzte Zweifel nicht ausgeräumt sahen - obwohl die Mehrheit der Amerikaner von der Schuld Simpsons überzeugt war.

Casey Anthony soll ihr zweijährige Tochter getötet haben um die Nächte auf Partys verbringen zu können. (Foto: REUTERS)

Auch der Prozess gegen Casey Anthony in Orlando in Florida könnte im Zweifel für die Angeklagte enden - obwohl die amerikanische Fernsehöffentlichkeit längst den Schuldspruch über die junge Mutter verhängt hat, die angeklagt ist, 2008 ihre damals zweijährige Tochter Caylee umgebracht zu haben, um ein freieres Liebesleben führen zu können. Im Falle einer Verurteilung droht der heute 25-Jährigen die Todesstrafe.

Der Fall hatte die US-Öffentlichkeit bereits vor drei Jahren in Atem gehalten. Im Juli 2008 war die kleine Caylee von ihrer Großmutter als vermisst gemeldet worden. Caylees Mutter hatte daraufhin eine Babysitterin namens Zanny beschuldigt, das Kind entführt zu haben.

Das Problem: Zanny gab es gar nicht. Nach monatelanger Suche wurde Caylees skelettierte Leiche im Dezember 2008 in der Nähe des Apartments ihrer Mutter in einem Gehölz geborgen. Am Schädel hing noch Klebeband, das dem Mädchen offensichtlich über Nase und Mund geheftet worden war. Anthony wurde des Mordes angeklagt. Sie leugnet die Tat.

Der Prozess begann erst in diesem Frühjahr. In Orlando hatten sich nicht genug Geschworene gefunden, die glaubhaft versichern konnten, sich noch kein Urteil in dem Fall gemacht zu haben. Die Jury, sieben Frauen und fünf Männer, wurde schließlich in der benachbarten Millionen-Metropole Tampa zusammengestellt und ist für die Dauer des Prozesses - inzwischen sieben Wochen - in einem Hotel in Orlando kaserniert.

Sie wollte die Nächte mit Männern verbringen

Die Anklage wirft Anthony vor, ihre Tochter mit dem Klebeband erstickt zu haben. Tagelang sei sie mit der Kinderleiche im Auto herum gefahren und habe das Mädchen schließlich in das Wäldchen geworfen. Als Motiv haben die Staatsanwälte die Selbstsucht einer verantwortungslosen alleinerziehenden Mutter ausgemacht, die lieber auf Partys gehen und ihre Nächte mit Männer verbringen wollte, als auf das lästige Kind aufzupassen.

Sie präsentierten nicht weniger als 400 Beweisstücke für ihre Theorie. Darunter ein angebliches Haar des toten Kindes aus dem Kofferraum von Anthonys Auto (konnte nicht eindeutig zugeordnet werden), eine Dose mit Luft aus dem Auto, die Verwesungsgeruch enthalten sollte, nach Darstellung der Verteidigung aber nur den Gestank einer Mülltüte enthielt (wurde vom Richter nicht zugelassen) sowie zwei Fotos. Das eine zeigt Anthony lachend in einem Nachtclub, Wochen nach Verschwinden ihrer Tochter, das andere zeigt ein Tattoo, das sie sich stechen ließ am Tag, bevor Caylee vermisst gemeldet wurde. Die Bedeutung des Symbols: schönes Leben.

Die Verteidigung dagegen schilderte das Verschwinden der Kleinen als einen Unglücksfall, der "außer Kontrolle" geraten sei. Caylee sei im Pool ertrunken. Anthony habe ihren Vater, einen ehemaligen Polizisten, alarmiert. In Panik habe der Mann dem Mädchen das Klebeband umgebunden, um ein Verbrechen zu simulieren. Das Verhalten sei gewiss "bizarr" und "tadelnswert" - nur ein vorsätzlicher Mord lasse sich so nicht nachweisen.

© SZ vom 06.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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