Mexiko:Vom Sockel gegrätscht

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Der Fußballer Rafael Márquez war einst Leistungsträger beim FC Barcelona und wird in seiner Heimat Mexiko wie ein Nationalheld gefeiert. Nun wirft man dem 38-Jährigen vor, Strohmann eines Drogenbosses gewesen zu sein.

Von Boris Herrmann

Wenn nicht alles täuscht, dann hat das US-Finanzministerium gerade die Karriere des mexikanischen Fußballers Rafael Márquez beendet. Es geht hier nicht um irgendeine Karriere: Der Verteidiger Márquez, 38, war zu seinen besten Zeiten beim FC Barcelona so wenig wegzudenken wie Ronaldinho oder Xavi Hernández. Seit fast zwei Jahrzehnten trägt er die Kapitänsbinde der mexikanischen Nationalelf. Er nahm an vier Weltmeisterschaften teil, viele Mexikaner halten ihn für den besten Spieler, den ihr Land je hervorgebrachte, neben Hugo Sánchez. Márquez, der inzwischen wieder bei seinem Heimatklub CF Atlas aus Guadalajara angestellt ist, galt als unzerstörbar - als Profi, als Vorbild, als Nationaldenkmal. Und jetzt wird ihm aus Washington vorgehalten, in den internationalen Drogenhandel verstrickt zu sein.

Die USA verhängten am Mittwoch Sanktionen gegen 43 mexikanische Firmen und 22 Mexikaner, die mit dem Drogenboss Raúl Flores Hernández zusammengearbeitet haben sollen. Darunter befinden sich auch der populäre mexikanische Sänger Julión Álvarez, der für zwei Latin-Grammys nominiert war, sowie Rafael Márquez. Der Fußballer soll nach Angaben der US-Behörden als "wichtiger Strohmann" für Flores fungiert haben. Entsprechende Ermittlungen laufen offenbar seit längerem, in Zusammenarbeit mit der mexikanischen Generalstaatsanwaltschaft.

Nachdem die Vorwürfe publik wurden, präsentierte sich Márquez am Mittwoch in der Zentrale der Staatsanwaltschaft in Mexiko-Stadt. Dort soll er fünf Stunden lang Rede und Antwort gestanden haben. Danach wandte er sich an die einigermaßen schockierte mexikanische Öffentlichkeit. Jede Art von Verbindung mit dem Drogenhandel stritt er kategorisch ab, er wolle aber mit den Behörden kooperieren. Sichtlich angefasst sagte der Familienvater und scheinbar ewige Kapitän: "Heute ist meine schwerste Partie. Meine Aufgabe ist, das alles so schnell wie möglich aufzuklären, um wieder der Rafa Márquez zu sein, den alle kennen."

Das dürfte ein schwierige Aufgabe werden, denn die Anschuldigungen aus Washington sind schwerwiegend und konkret. Über mehrere auf Márquez eingetragene Firmen mit Sitz im mexikanischen Bundesstaat Jalisco ist demnach Geld aus dem Kokaingeschäft des Flores-Kartells gewaschen worden. Raúl Flores, genannt "El Tío" (der Onkel), ist einer der unbekannteren unter den mächtigen Capos Mexikos. Dabei war er nach Erkenntnissen der Ermittler mindestens 35 Jahre lang im Narco-Business tätig. Als ein Experte für diskrete Geldwäsche soll er eine eigene Verbrecherorganisation aufgebaut haben, die mit den großen Kartellen kooperierte, Beltrán Leyva, Jalisco Nueva Generación und dem Sinaloa-Kartell des an die USA ausgelieferten Drogenbosses Joaquín "El Chapo" Guzmán. Flores wurde am 20. Juli verhaftet, derzeit sitzt er in einer mexikanischen Zelle, aber nach Medienberichten droht ihm in Kürze ebenfalls eine Auslieferung in die USA. Einem nicht namentlich genannten "hochrangigen Ermittler" zufolge, den die Zeitung El Universal zitierte, soll die Verbindung zwischen Flores und Márquez seit über zwanzig Jahren bestehen.

In Lateinamerika gibt es eine lange Beziehungsgeschichte zwischen den beiden krisenfesten Geschäftsfeldern Profifußball und Drogenhandel, das gilt in besonderem Maße für Kolumbien und Mexiko. Unbestritten ist auch, dass "El Tío" Flores lange Zeit mit dem mexikanischen Fußball eng verbunden war. Bis 2008 war er der Vereinspräsident des Zweitligisten Guerreros de Autlán, bis sich das Team praktisch über Nacht aus dem Spielbetrieb abmeldete. Auf der US-Sanktionsliste taucht der Verein unter seinem offiziellen Firmennamen "Club Deportivo Morumbi" auf.

Sollten sich die Vorwürfe der US-Behörden bestätigen, dann wäre das ein weiterer Beweis für das schon oft genug bewiesene Grundübel Mexikos. Dafür, wie die Kartelle nahezu alle Bereiche der Gesellschaft unterwandert haben: die Polizei, das Militär, die Politik, den Fußball und die Popkultur. Auch der Musiker Julión Álvarez, 34, galt bislang als ein Held der mexikanischen Jugend, seine größten Hits haben auf Online-Plattformen wie Spotify Klickzahlen im zweistelligen Millionenbereich. Álvarez, der die Anschuldigungen ebenfalls bestreitet, droht jetzt wie Márquez von seinem Sockel zu stürzen. Noch vor wenigen Tagen unternahm er in seiner Heimatregion Chiapas eine Rafting-Tour mit dem mexikanischen Staatspräsidenten Enrique Peña Nieto. Ein fröhliches Foto davon wurde am Mittwoch vom Instagram-Account des Präsidenten gelöscht.

© SZ vom 11.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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