Mexiko:Rache oder Verwechslung?

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Hinterbliebene betrachten die Überreste des Wagens, in dem einige der neun Familienmitglieder getötet wurden und verbrannten. (Foto: AFP)

Noch rätseln die Behörden, warum die Frauen und Kinder dem grausamen Massaker zum Opfer fielen. Beobachter vermuten, dass ein Drogenkartell beteiligt war.

Von Benedikt Peters

Das Auto ist ausgebrannt, im Fußraum unter dem Fahrersitz lodert noch immer ein kleines Feuer. Es sind die Überbleibsel eines äußerst grausamen Verbrechens, die nun per Internetvideo verbreitet werden. Am Montag kursierten erste Meldungen, denen zufolge Mitglieder einer aus den USA stammenden Mormonenfamilie im Norden Mexikos getötet worden sind. Die Details, die nun nach und nach bekannt werden, enthüllen ein Massaker von großer Abscheulichkeit.

Demnach waren am Montag drei Frauen mit ihren Kindern auf einer Landstraße in Mexiko unterwegs. Sie wollten von einer Mormonengemeinde zu einer anderen fahren, sollten dort aber nie ankommen. Ihre Autos wurden von bewaffneten Männern angegriffen und mit Kugeln durchsiebt. Einige Frauen und Kinder wurden erschossen, andere verbrannten in den Autos. Am Ende waren neun Menschen tot, die drei Frauen sowie sechs Kinder, das älteste war elf Jahre alt. Die jüngsten waren Medienberichten zufolge sechs Monate alte Zwillinge.

An Tag zwei danach ist noch immer unklar, woher die Täter stammen und welches Motiv sie hatten. Es mehren sich aber die Spekulationen, dass es sich um Mitglieder eines Drogenkartells handelt. Das Grenzgebiet zwischen Mexiko und den USA ist fest in der Hand der Banden, die von dort ihre Schmuggelware nach Norden bringen. Das würde jedoch nicht erklären, weshalb ausgerechnet unbewaffnete Frauen und Kinder getötet wurden. Manche Beobachter vermuten nun, dass es sich möglicherweise um einen Racheakt gehandelt haben könnte.

Vermutungen und Ratlosigkeit

Mitte Oktober hatten mexikanische Behörden versucht, Ovidio Guzmán festzunehmen und in die USA auszuliefern, waren aber letztlich gescheitert. Guzmán ist der Sohn des berüchtigten Drogenbosses Joaquín Guzmán Loera, bekannt als El Chapo, der in einem Hochsicherheitsgefängnis in den USA einsitzt. Das Sinaloa-Kartell, zu dem die Guzmáns gehören, operiert in der Gegend, in der das Massaker stattfand.

Aber das ist nur eine Variante. Andere vermuten eine Verwechslung - oder sind ob der grausamen Tat schlicht ratlos. Bei den im Norden Mexikos lebenden Familien handelt es sich um Nachkommen einer Abspaltung von der mormonischen Hauptkirche, die sich dort Ende des 19. Jahrhunderts niederließ, unter anderem, um polygam zu leben. Manche, nicht alle, tun das bis heute. Sie betreiben Landwirtschaft und leben nach eigenen Angaben friedlich mit ihren Nachbarn zusammen.

Da die Getöteten US-Bürger sind, ist der Fall schnell zum Politikum zwischen Mexiko und Washington geworden. US-Präsident Donald Trump meldete sich wie gewohnt auf Twitter. "Mexiko muss jetzt mit Hilfe der USA Krieg gegen die Drogenkartelle führen und sie von der Erdoberfläche fegen", schrieb er. Mexikos Präsident Andres Manuel López Obrador drückte den Angehörigen der Opfer sein "tiefstes Beileid" aus und telefonierte mit Trump. Der Forderung nach "Krieg" erteilte er aber eine Absage. Auf einer Pressekonferenz sagte er: "Die Politik wurde erfunden, um den Krieg zu vermeiden."

Tatsächlich hat Mexiko schon schlimme Erfahrungen mit dem Krieg gegen die Drogen gemacht, den mehrere Vorgänger López Obradors geführt hatten. Der ehemalige Bürgermeister von Mexiko-Stadt wurde 2018 auch deshalb in das oberste Staatsamt gewählt, weil er ein anderes Vorgehen versprach. Er möchte die Korruption beenden, den Menschen wirtschaftliche Perspektiven bieten und nur mit einzelnen Operationen gegen die Drogenbosse vorgehen. Ein Krieg, so sein Credo, fordert zu viele unschuldige Opfer.

Bisher hat die Strategie aber kaum Erfolge gezeigt. Die Geschäfte der Kartelle florieren. Ihre Schergen verüben immer wieder Massaker - so auch bei der versuchten Festnahme Ovidio Gúzmans. Danach musste der Präsident Kritik einstecken. Noch hat sich nicht gezeigt, wer in Mexiko mächtiger ist: die Regierung oder die Kartelle.

© SZ vom 07.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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