Mexiko:Nach 298 Tagen auf See gerettet

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Angeblich wollten sie nur kurz Haie jagen. Jetzt sind drei längst tot geglaubte Fischer nach zehn Monaten auf dem Pazifik endlich wieder an Land gegangen.

Peter Burghardt

Eine Hymne auf die inzwischen berühmteste Mole Mexikos gibt es schon länger, aber das soll reiner Zufall gewesen sein. Das leicht kitschige Stück stammt von der erfolgreichen Popgruppe Mana, heißt "En el Muelle de San Blas" und erzählt vom tränenreichen Abschied sowie dem vergeblichen Warten an der Hafeneinfahrt. "Tausende Monde vergingen", heißt es, aber der Reisende kam nicht wieder, worauf seine Geliebte am Kai erstarrte.

"Wir sind keine Kanibalen. Wir haben in der Bibel gelesen." Jesus Vidana, Lucio Rendon und Salvador Ordonez werden in Mexiko wie Volkshelden gefeiert. Sogar die mexikanische Bischofskonferenz ist begeistert. (Foto: Foto: dpa)

Nun steht das ansonsten unbedeutende Fischerdorf namens San Blas an der mexikanischen Pazifikküste für eine der größten Sensationen der zeitgenössischen Seefahrt. Dieser Tage werden dort drei Fischer zurückerwartet, die in einer besseren Nussschale fast zehn Monate auf dem offenen Meer überstanden haben sollen, ehe sie ungefähr 8000 Kilometer westlich befreit wurden. Sofern die Geschichte stimmt.

Regenwasser, roher Fisch und Vögel zum Überleben

Der Legende nach begann das Drama am 28. Oktober 2005, als damals angeblich fünf Männer ihr neun Meter langes Boot bestiegen, um mit Taschenlampen, Spezialausrüstung und wenig Proviant nach Haien zu jagen. Bald soll der Außenbordmotor ausgefallen sein, worauf die starke Strömung das Unternehmen immer weiter auf den Ozean hinauszog. Suchaktionen blieben offenbar erfolglos.

Die Schiffbrüchigen tranken gesammeltes Regenwasser und ernährten sich von rohem Fisch sowie Vögeln, die sich ahnungslos an Bord niederließen. "Einmal", so berichtete einer, "hatten wir 13 Tage lang nur einen Seevogel zu essen." Zwei von ihnen spuckten Blut und starben, die Leichen wurden über Bord geworfen.

Erst am 9. August entdeckte ein taiwanesischer Thunfischfänger der Firma Koo's Fishing Co. nahe den Marschall-Inseln die winkenden Jesus Vidana, Lucio Rendon und Salvador Ordonez, die seither von abgemagerten Gestalten zu mythenumwobenen Volkshelden aufgestiegen sind.

"Ich bin wieder geboren"

Nach 298 Tagen auf dem Meer gingen sie am Dienstag in dem Südsee-Archipel an Land, um alsbald nach Hause geflogen zu werden. Haut und Knochen seien sie gewesen, informierte einer der Retter auf Fotos sehen die wundersamen Überlebenden jedoch erstaunlich manierlich aus. Untersuchungen ergaben außer Schwellungen wegen Sonne und Salzwasser hauptsächlich einen unausgewogenen Mineralhaushalt.

In Mikronesien wurden die Ankömmlinge mit Blumen empfangen und bekamen den Ehrentitel "Lomor", was angeblich für gerettete Seelen steht. Zum mexikanischen Empfangskomitee gehörten Sonderberichterstatter und der aus Neuseeland herbeigeeilte Botschafter.

"Es lebe Mexiko", rief Jesus Vidana, als er die Marshall-Hauptstadt Majuro betrat, kurz darauf wurde ihm mitgeteilt, dass er Vater einer viermonatigen Tochter sei. "Ich bin wieder geboren, gerettet dank meines Gottes, des Allmächtigen", sprach er und entgegnete Gerüchten, man habe die beiden Verstorbenen in der Not aufgegessen. "Wir sind keine Kannibalen, wir haben Herz." Man habe regelmäßig in der Bibel gelesen, gebetet und nie die Hoffnung verloren, was die mexikanische Bischofskonferenz als richtungsweisend begrüßte.

Popgruppe will für die Schiffbrüchigen spielen

Zweifel an der Version von der Irrfahrt und den Stürmen gibt es natürlich auch, trotz des nationalen Glaubens an die Wirren des Schicksals. Von Drogenhandel ist die Rede, das Geschäft mit dem Rauschgift spielt in der Heimatregion Nayarit keine geringe Rolle.

Beobachter wollen außerdem von Anfang an bloß drei Besatzungsmitglieder gesehen haben. Was nun, wurden die Hauptpersonen gefragt. "Normal, weiter arbeiten", antworte Jesus Vidana. "Wir sind Hai-Fischer, und ich mag es, in San Blas zu leben, denn es gibt dort so viele Haie", erläuterte Salvador Ordonez. Vermutlich wird es Bücher geben und Filme. Die Popgruppe Mana hat sich auch angekündigt an der Mole von San Blas. Sie würde, so heißt es, diese Leute gerne kennenlernen.

© SZ vom 24. August 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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