Kriminalität:Wohin treiben die USA?

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Demonstranten protestieren in New York gegen die wiederholte Gewalt gegen Schwarze durch US-Polizisten. Foto: Alba Vigaray (Foto: dpa)

Washington (dpa) - Es ist eine schier unlösbare Aufgabe. Barack Obama steht in Dallas vor einer seiner wichtigsten Reden. "Eine seiner üblich guten Ansprachen wird nicht reichen. Er muss alle Wunden heilen. Die der Polizei und die der Protestierenden."

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Washington (dpa) - Es ist eine schier unlösbare Aufgabe. Barack Obama steht in Dallas vor einer seiner wichtigsten Reden. „Eine seiner üblich guten Ansprachen wird nicht reichen. Er muss alle Wunden heilen. Die der Polizei und die der Protestierenden.“

Der Historiker Douglas Brinkley legt bei CNN die Latte hoch. Inmitten eines tosenden Wahlkampfs, eingedenk zwei von der Polizei unter eigenartigen Umständen getöteten Schwarzen und fünf ermordeten Polizisten, spricht der US-Präsident zu einem zutiefst verunsicherten Land.

„Die Ereignisse dieser Woche könnten uns so erschüttern, dass sich etwas ändert. Oder sie verblassen zu einer Erinnerung. Bis zum nächsten Mal“: So kommentierte das Radionetzwerk NPR. Und die „Huffington Post“ schreibt ähnlich wie andere: „Es ist eine Versuchung, nun die zwei Seiten in unausweichlichem Konflikt miteinander zu sehen, Amerika als ein Land im Bürgerkrieg, so wie die „New York Post“ es tat.

Neben Rupert Murdochs „New York Post“ stießen der krawallige Drudge Report und das Portal Breitbart ins gleiche Horn. Die Schwarzen, selbst schuld. Die Polizei, immer im Recht, sollen sich halt alle benehmen.

Ist das so? Schwarz gegen Weiß, Black Lives Matter gegen All Lives Matter, Radikalisierung im Land der Waffen, die neue Normalität?

Um Mäßigung, Differenzierung und Zurückhaltung bemüht sich nicht nur Obama. Die Lage ist schon kompliziert genug, und die Aussichten sind es auch. Und das alles begleitet von einem Wahlkampf, dessen Rohheit das ihre beiträgt, Gewalt als Streitform zu akzeptieren.

Obama sagte, das Land sei nicht im Entferntesten so gespalten wie zur Zeit der Unruhen Ende der 60er Jahre. Das „New York Magazine“ meint: Die Demonstration in Dallas war Modell einer funktionierenden liberalen Gesellschaft. Friedlicher Protest gegen die Polizei unter dem Schutz der Polizei. Das hier ist nicht 1968.

Damals kam es in den USA zu massiven Unruhen und Aufständen, zu Straßenkämpfen zwischen Schwarzen und Weißen. Ein halbes Jahrhundert später sei das Land um Längen stabiler, schreibt auch „The Atlantic“. Allerdings ändere das nichts daran, dass sehr vieles sehr schief laufe in diesen nicht immer sehr Vereinigten Staaten.

„Wir sind in Stämme zerfallen“, sagt Charlie Beck von der Polizei in Los Angeles der „New York Times“, „irgendwann wurde es wichtiger, aus welchem Elternhaus Du kommst und welche Farbe Deine Haut hat, als einfach Amerikaner zu sein“.

Die „Washington Post“ schreibt: „Aufzuzeigen, dass Amerika ein Problem hat mit den Ethnien, oder dass unsere Polizei nicht die Ideale lebt, die wir aufgestellt haben, heißt weder, dass man Amerika hasst, noch dass man die Polizei hasst.“

Die einzig angemessenen Schritte seien sehr große und sehr schnelle, meint die „New York Times“ und zählt auf: Änderungen im Strafvollzug, im Bildungssystem, auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt. Dazu kommen die Rekrutierung, Ausbildung und Bezahlung der Polizei.

Das ist so viel, dass vermeintlich einfache Lösungen locken. Bisher warteten damit weder Hillary Clinton noch Donald Trump auf. Selbst Trump hielt sich nach Dallas auffällig zurück.

Gewalt sei tief verwurzelt in der amerikanischen Kultur, schreibt die „New York Review of Books“, sie belegt das ausführlich mit Stationen amerikanischer Außen- und Militärpolitik. „Wir fanden das immer normal.“ Und: 300 Millionen Waffen im Land legten nahe, Konflikte eben nötigenfalls selbst zu lösen. Die Zeitschrift zitiert Martin Luther King: Gewalt erzeugt Gewalt. Das war 1958.

„Was wir ganz, ganz dringend bräuchten“, schreibt die „Los Angeles Times“, „wäre jetzt jemand, der uns wieder zusammenbringt“. Das aber wird nach Lage der Daten sicher nicht passieren.

Noch nie waren Präsidentschaftskandidaten in den USA unbeliebter, sogar verhasster. Wer immer den Stab von Obama übernimmt, wird sich mindestens vier Jahre lang weiter entlang der tiefen Bruchlinien des Landes bewegen, sie bestenfalls nicht verschlimmern. Die Abneigung der politischen Lager wurde jahrelang erfolgreich gedüngt.

Trump könnte profitieren, wenn das weiße Amerika sich im Schock von Dallas nach mehr Sicherheit und Autorität sehnt. Clinton, wenn das polyglotte, bunte Amerika sich durchsetzt. Die „LA Times“: Wer auch immer. Sie müssen die Nation überzeugen, dass sie sieben tote Weiße und Schwarze jetzt gleichzeitig in Einheit betrauern kann.

Was für eine Herausforderung für ein Land, das einen Bürgerkrieg gebraucht hat, um sich der Sklaverei zu entledigen, deren Folgen bis heute nicht restlos verwunden sind.

Besonnene verweisen darauf, dass die Zahl der Gewaltverbrechen seit vielen Jahren sinkt. Dem steht das exponentielle Wachstum per Smartphone übertragener, schrecklichster Bilder von Verbrechen entgegen, die einerseits ein Alles-Immer-Schlimmer-Gefühl erzeugen. Andererseits öffnen sie einem weißen Amerika die Augen über Polizisten, „die sie noch nicht kennen, weil sie ihnen als Weißen selbst niemals begegnen werden“, schreibt der „New Yorker“.

Dieses riesige Land zog seinen Reiz immer auch aus seinen Spannungen und Unterschieden. Aber nirgendwo werden heute pro Kopf mehr Menschen eingesperrt als in den USA, darunter überproportional viele Afro-Amerikaner. Minderheiten erleben Diskriminierung, Ghettoisierung und Armut, während viele Weiße - außerhalb der Eliten an den Küsten - sich abgehängt und vernachlässigt fühlen. Die Historikerin Wendy Wall formuliert es in der New York Times so: Einigkeit ist schön. Aber zu oft begräbt sie die Probleme. Wir brauchen jetzt niemanden, der Gegensätze ausradiert, sondern der Unterschiede überbrückt.

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