Kriminalität:Lidl-Erpresser gefasst - Ihr großer Traum war ein Haus in Spanien

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Fahndungsfotos und eine Maske führten zur Ergreifung der Lidl-Erpresser, die in mehreren Filialen im Ruhrgebiet Bomben gezündet hatten. (Foto: dpa)

Ein Ehepaar aus Gelsenkirchen zündet Bomben und versucht, eine Million Euro zu erpressen. Dank der Aufmerksamkeit eines Kripo-Beamten ist es jetzt festgenommen worden.

Von Varinia Bernau, Recklinghausen

Manche Menschen sparen eisern, damit sie sich eines Tages den Traum vom Haus in Spanien erfüllen können. Andere spielen Lotto, wiederum andere versuchen, das nötige Geld beim Supermarkt um die Ecke zu erpressen. So hat es ein Pärchen aus Gelsenkirchen getan. Er 48, sie 54 Jahre alt. Beide stammen zwar, wie man so sagt, aus gutem Hause, zuletzt aber lebten sie von staatlicher Hilfe. Ihre am Donnerstag von der Polizei in Recklinghausen erzählte Geschichte, die der Mann in vollem Umfang, die Frau in Teilen gestanden hat, klingt wie das Drehbuch zu einer Gaunerkomödie.

Sie beginnt vor fast vier Jahren: Damals, im Oktober und im Dezember 2012, explodieren Sprengsätze an der Außenfassade zweier Lidl-Märkte in Bochum und Bottrop. Außerhalb der Öffnungszeiten. Der Schaden ist noch gering. Bei Lidl aber gehen Erpresserschreiben ein, und nach allem, was man derzeit weiß, steckte bereits das Gaunerpärchen aus Gelsenkirchen dahinter. Irgendwann aber melden sich die beiden nicht mehr. Dafür nehmen Ermittler die Spur auf. Ihre Erkenntnisse werden sich später als äußerst wertvoll erweisen.

Vier Mal überweist Lidl Geld - aber viel weniger als von den Tätern gefordert

An einem Freitagmorgen im April dieses Jahres dann, kurz nach neun Uhr, explodiert wieder ein selbstgebauter Sprengsatz. Dieses Mal in der Leergutannahmestelle eines Lidl-Marktes am Rande von Herten, einer 60 000-Einwohner-Stadt im Ruhrgebiet. Die Rohrbombe wird per Fernsteuerung gezündet. Den Papierkorb, in dem sie versteckt ist, und vor allem das, was in dem Moment drumherum passiert, haben die Täter dabei wohl kaum im Blick. Eine 37 Jahre alte Verkäuferin des Discounters wird durch herumfliegende Metallteile leicht verletzt. Dass nichts Schlimmeres geschah, sei ein glücklicher Zufall gewesen, sagt einer der Polizisten. Solche Räume zur Pfandrückgabe seien klein, und hätte die Mitarbeiterin, die einen defekten Automaten ansehen wollte, nur an einer etwas anderen Stelle gestanden, wäre sie schwerer verletzt, womöglich gar getötet worden.

Einige Tage später schickt das Gaunerpaar eine E-Mail an Lidl. Darin bekennen sich die beiden zu der Explosion im Papierkorb - und drohen: Sollte Lidl nicht eine Million Euro in kleinen Tranchen auf verschiedene Konten überweisen, werden weitere Sprengsätze in die Luft gehen. Später werden sie die Frist verkürzen, auch ihre Forderung noch einmal erhöhen. Vier Mal überweist Lidl Geld. Insgesamt aber nur einen Bruchteil der Forderung. So versucht das Unternehmen, die Ermittlungen zu unterstützen. Niemand will die Täter provozieren und dadurch womöglich Kunden und Mitarbeiter in Gefahr bringen.

Die erpresserische E-Mail verschickt das Paar nicht unter seinen richtigen Namen. Ihre Identität verschleiern die beiden auch, als sie sich ihre weitere Ausstattung besorgen - die Prepaid-Kreditkarten etwa, mit denen sie am Automaten das überwiesene Geld abheben. Anders als damals vor vier Jahren, als der Mann noch mit einer Lederkappe auf dem Kopf an einer Tankstelle die Kreditkarten selbst kaufte, bitten die beiden nun stets andere, dies zu erledigen. "Sie waren sehr vorsichtig", sagt einer der Ermittler. "Sie sind strukturiert vorgegangen, neigten nicht zur Spontanität." Manchmal warten sie einige Tage ab, ehe sie reagieren. Beim Abheben des erpressten Geldes wechseln sie sich ab. Stets treten sie maskiert vor den Automaten. Mit Anglerhut oder Sonnenbrille.

Auf einem der dabei entstandenen Fotos erkennt einer der Kriminalpolizisten, der bei den Ermittlungen vor vier Jahren in Bochum dabei war, eine Frau wieder. Sie hatte sich in der Nähe aufgehalten, als die Erpresser sich damals ausstatteten, und war dabei fotografiert worden. Die Polizei überwacht sie - und stößt auf einen Mann, den sie ebenfalls von alten Aufnahmen kennt: Es ist der Mann mit der Lederkappe, der einst an der Tankstelle die Kreditkarten kaufte. So fügen die Ermittler Puzzleteil um Puzzleteil zusammen.

In dieser Woche, in der Nacht zu Mittwoch, nimmt die Polizei das Pärchen schließlich fest. In der gemeinsamen Wohnung in Gelsenkirchen finden die Ermittler eine aus dem Internet geladene Anleitung zum Bau der Bombe, Schlapphut und Sonnenbrille, die Prepaid-Kreditkarten. Auch eines der Erpresserschreiben wird auf einem Computer sichergestellt.

Bereits im September wollte das Gaunerpärchen Deutschland verlassen. Der Traum vom Haus im sonnigen Spanien sollte Wirklichkeit werden. In der Befragung wird die Frau die ganze Sache vergleichen "mit einem Lottogewinn, der einem ein ruhiges Leben im Alter ermöglicht". Dieser Traum ist nun geplatzt. Der Haftbefehl gegen die beiden lautet auf versuchten Mord und räuberische Erpressung. Das eine kann mit lebenslanger Haft bestraft werden, das andere mit mindestens 15 Jahren Gefängnis.

© SZ vom 22.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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