Kriminalität:In Belgien gehen die Kabeldiebe um

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Querschnitte von Kupferkabeln, wie sie in Belgien massenhaft geklaut werden.

(Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa)
  • Überall in Belgien werden Kabel geklaut, mit einem Kern aus Kupfer meist, aber auch aus dem weniger wertvollen Aluminium.
  • Das hat verheerende Folgen für den Bahnverkehr: Allein im Oktober entstanden diebstahlbedingt mehr als 18 000 Minuten Verspätung.
  • In der Regel operieren die Täter in Grenznähe, im Südosten um Namur und im Osten in der Provinz Lüttich, wo sie schnell auf die Autobahn kommen.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Sie kommen in der Nacht, eine Handvoll Männer. Mit gestohlenen Allradfahrzeugen und einer kräftigen Winde nähern sie sich den Gleisen. Die Methode ist immer dieselbe. An zwei Stellen, mehrere Hundert Meter voneinander entfernt, zwacken sie ein Kabel ab und rollen es auf eine Trommel. Dann brausen sie davon. Die herbeieilende Polizei sieht sie manchmal, wenn sie schnell ist, noch in der Ferne verschwinden.

So läuft das täglich in Belgien. Überall im Land werden Kabel geklaut, mit einem Kern aus Kupfer meist, aber auch aus dem weniger wertvollen Aluminium, in einem Ausmaß, das die Medien von einer "Plage", ja "Epidemie" sprechen lässt. Begonnen hat es mit 27 Diebstählen im Juni. Im September waren es 55, im Oktober 83, und im November sieht es nicht besser aus. Mit verheerenden Folgen für den Bahnverkehr: Allein im Oktober entstanden diebstahlbedingt mehr als 18 000 Minuten Verspätung, durchschnittlich zehn Stunden am Tag. Im ganzen Jahr kamen bisher 45 700 Minuten Verspätung zusammen.

Noch reagierten die Kunden überwiegend mit Verständnis, heißt es bei der Bahngesellschaft SNCB, "aber für uns ist das ein großer Imageverlust". Die SNCB selbst ist hilflos, denn das Netz gehört nicht ihr, sondern der Gesellschaft Infrabel. Deren Sprecher Arnaud Reymann hört man die Zerknirschung an. Nacht für Nacht müssten Reparaturtrupps ausrücken und die Leitungen ersetzen, klagt er, das seien enorme Kosten. Mit den Kabeln werden die Signale geschaltet und vieles mehr, sie sind essenziell für den Betrieb. Bis die Züge wieder fahren können, dauert es Stunden, manchmal sogar Tage. 15 Mitarbeiter seien mit nichts anderem mehr beschäftigt, sagt Reymann. "Sie fehlen bei der Kontrolle der Weichen oder der Vorbereitung auf den Winter."

Ein oder zwei Banden seien hier am Werk, sie beständen überwiegend aus Rumänen, die sich illegal in Belgien und Frankreich aufhielten. Das wisse man durch Spuren an den Tatorten und weil fast alle bisher gefassten Täter aus dem osteuropäischen Land stammten. "Die Diebe haben sich stark professionalisiert", sagt Reymann, sie wendeten "industrielle Methoden" an. "Sie kennen das Schienennetz sehr gut. Sie beobachten genau, ob eine Strecke überwacht wird. Nachdem sie zugeschlagen haben, fahren sie sofort ins Ausland." Dort, in den Niederlanden, Deutschland oder weiter östlich, erhalten sie, anders als in Belgien, Bargeld für das Buntmetall - zwischen drei und fünf Euro für das Kilo Kupfer.

Gleich am nächsten Tag kehren sie zurück. In der Regel operieren die Täter in Grenznähe, im Südosten um Namur und im Osten in der Provinz Lüttich, wo sie schnell auf die Autobahn kommen, auf der sie Belgien in maximal 30 Minuten verlassen können. Häufig lahmgelegt ist deshalb die Schnellstrecke zwischen Brüssel und Aachen, auf der die internationalen Züge ICE und Thalys fahren. Wer in diesen Tagen zwischen Belgien und Deutschland pendelt, muss mit Umleitungen und langen Verspätungen rechnen.

Schon einmal war es so schlimm, Anfang des Jahrzehnts, als die Kupferpreise wegen des Baubooms in China in die Höhe schossen. Mehr als 1300 Kabeldiebstähle führten 2012 zu 66 000 Minuten Verspätung und fast 1000 Zugausfällen in Belgien. Auch Deutschland war damals extrem betroffen. Inzwischen sei das kein großes Problem mehr, sagt ein Sprecher der Deutschen Bahn, die Zahl der Fälle sei "stark rückläufig". Die Kabel würden inzwischen an den Brennpunkten mit "künstlicher DNA" versehen, so dass die Polizei sie später bei den Dieben oder Schrotthändlern identifizieren kann. Das koste nicht viel, wirke aber in Verbindung mit entsprechenden Signalschildern abschreckend. Außerdem lägen Sicherheitskräfte mit Nachtsichtgeräten auf der Lauer. In Frankreich bewachen mehr als 25 000 Kameras sowie Drohnen und Ultraleichtflugzeuge die Schienen.

Auch in Belgien entwickelten SNCB, Infrabel und die Regierung einen Aktionsplan, die Polizei rüstete auf, setzte Helikopter mit Wärmebildkameras ein. Die Zahl der Fälle nahm stark ab, auf 63 im vergangenen Jahr. Warum es im Juni wieder losging? Vielleicht, weil die Polizei, die intensiv mit dem Kampf gegen Terroristen beschäftigt ist, nachlässiger wurde. Immerhin haben die Behörden dem Thema wieder Priorität gegeben und wieder eine Arbeitsgruppe gegründet. Im Oktober wurden 20 Verdächtige im Raum Lüttich gefasst, acht kamen vor den Richter. Doch offenbar fand sich schnell Ersatz für sie. Selbst Gefängnisstrafen von bis zu 40 Monaten scheinen wenig zu bewirken. Der DNA-Einsatz bringe nicht viel, sagt Reymann, "der Diebstahl selbst wird dadurch ja nicht verhindert, und die Justiz erkennt das als Beweismittel noch nicht an". Man könne auch nicht jeden Meter Gleis überwachen. Es bleibe nur eine Hoffnung: "dass bald alle Verbrecher verhaftet sind".

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