Kriminalität:Der Fall Edathy: Vom ersten Verdacht zum Ministerrücktritt

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Hannover/Berlin (dpa) - Sebastian Edathy (44) profiliert sich als Chef des NSU-Untersuchungsausschusses. Im Herbst 2013 gewinnt er bei der Bundestagswahl den Kreis Nienburg II/Schaumburg mit 44,6 Prozent der Erststimmen. Dem respektierten Innenpolitiker scheinen in Berlin alle Türen offen zu stehen.

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Hannover/Berlin (dpa) - Sebastian Edathy (44) profiliert sich als Chef des NSU-Untersuchungsausschusses. Im Herbst 2013 gewinnt er bei der Bundestagswahl den Kreis Nienburg II/Schaumburg mit 44,6 Prozent der Erststimmen. Dem respektierten Innenpolitiker scheinen in Berlin alle Türen offen zu stehen.

Doch dann legt er im Februar überraschend sein Bundestagsmandat nieder und ist nur Tage später der Mittelpunkt einer Regierungsaffäre. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn. Eine Chronologie:

21. Oktober 2005 bis 18. Juni 2010: Laut Staatsanwaltschaft Hannover steht Sebastian Edathy im Verdacht, in diesem Zeitraum neun Bestellungen für 31 Video- und Fotosets mit Bildern nackter Jungen getätigt zu haben. Die ersten sieben kamen postalisch, der Rest waren Downloads aus dem Internet. 2012: Die kanadische Polizei informiert das Bundeskriminalamt über 800 deutsche Kunden eines kanadischen Onlineshops, der auch Kinderpornografie vertreibt. Im Oktober 2012 gibt das BKA die Daten zentral zur Auswertung an die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt.

Oktober 2013: BKA-Chef Jörg Ziercke informiert den Staatssekretär des damaligen Bundesinnenministers Hans-Peter Friedrich (CSU). Der sagt SPD-Chef Sigmar Gabriel, dass im Rahmen von Ermittlungen im Ausland der Name Edathy aufgetaucht sei. Gabriel erzählt Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier davon, auch Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann wird eingeweiht. Oppermann lässt sich die Information nach eigenen Aussagen telefonisch von Ziercke bestätigen. Dieser bestreitet jedoch, Informationen bestätigt zu haben.

5. November 2013: Der Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover, Jörg Fröhlich, erfährt in einem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Celle erstmals von dem Verdacht.

13. November 2013: Die kanadischen Behörden informieren auf einer Pressekonferenz über ihre Ermittlungen.

28. November 2013: Ein Anwalt Edathys sucht die Staatsanwaltschaft Hannover auf und fragt nach möglichen Ermittlungen gegen seinen Mandanten. Er bezieht sich auf Gerüchte, die Edathy gehört habe. Der Anwalt führt das Gespräch mit Fröhlichs Vertreterin, die den Fall nicht kannte. Auf ihre Frage, worum es geht, erhält sie die Antwort: „Irgendwas mit Kinderpornografie.“

Ende November 2013: Der innenpolitische SPD-Fraktionssprecher Michael Hartmann informiert Oppermann darüber, dass Edathy gesundheitliche Probleme habe.

Dezember 2013: Oppermann informiert seine Nachfolgerin Christine Lambrecht über den Verdacht gegen Edathy.

Anfang Januar: Edathy meldet seiner Fraktion seine Krankschreibung.

22. Januar 2014: Edathys Anwalt sucht mit Oberstaatsanwalt Thomas Klinge das Gespräch. Dabei wiederholt er, was sein Mandant gerüchteweise gehört habe. „Die Filme seien allerdings nicht pornografisch gewesen, Herr Edathy besitze sie auch nicht mehr“, sagt der Anwalt nach Darstellung Fröhlichs.

28. Januar 2014: Die Staatsanwaltschaft entscheidet, Ermittlungen einzuleiten, die zunächst verdeckt laufen.

6. Februar 2014: Fröhlich informiert den Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) per Brief über die eingeleiteten Schritte. Der Brief kommt aber erst am 12. Februar in Berlin an.

7. Februar: Edathy legt nach 15 Jahren sein Bundestagsmandat nieder und nennt dafür gesundheitliche Gründe.

10. Februar: Die Staatsanwaltschaft Hannover lässt Edathys Wohnungen im niedersächsischen Rehburg und Berlin sowie Büros durchsuchen.

11. Februar: Edathy weist in einer Erklärung den Verdacht auf Besitz von Kinderpornografie zurück.

12. Februar: Edathy erhebt Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft: Die Razzien in seinen Wohnungen und Büros seien unverhältnismäßig und widersprächen rechtsstaatlichen Grundsätzen. Ermittler durchsuchen ein weiteres Büro Edathys in Rehburg.

13. Februar: Die SPD-Spitze räumt ein, seit Oktober vom Verdacht gegen Edathy gewusst zu haben. Die Weitergabe von Informationen aus dem Bundesinnenministerium stößt bei den Ermittlern auf heftige Kritik. Die Staatsanwaltschaften in Berlin und Hannover prüfen die Einleitung förmlicher Ermittlungen gegen Friedrich wegen Geheimnisverrats.

14. Februar: Friedrich erklärt, er wolle im Amt bleiben, bis über ein Ermittlungsverfahren entschieden ist. Nur wenige Stunden später tritt er als Bundesagrarminister zurück und begründet diesen Schritt mit wachsendem Druck, aber auch mit schwindendem politischem Rückhalt. Zuvor hatte sich die Staatsanwaltschaft erstmals zu den Vorwürfen gegen Edathy geäußert. Es gehe um einen Grenzbereich zur Kinderpornografie. Leiter Fröhlich zeigt sich „fassungslos“, dass die SPD-Spitze schon seit Oktober Bescheid wusste.

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