Kommunen:„Lage spitzt sich zu“: Suche nach Raum für Flüchtlinge

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Ehemalige Wohnblocks auf dem Gelände des Flughafens Hahn sollen in Kürze als Aufnahmeeinrichtung für Geflüchtete genutzt werden. (Foto: Thomas Frey/dpa)

Die Unterbringung von Flüchtlingen belastet die Finanzlage der Kommunen in Rheinland-Pfalz. Sie fordern vom Land eine auskömmliche Finanzierung. Doch Geld ist gar nicht mal alles, es fehlt schlicht an Raum. Selbst die Anschaffung von Containern gestaltet sich schwer.

Von Christian Schultz, dpa

Mainz (dpa/lrs) - Während Mainz nach einem Standort für Container-Unterkünfte sucht, sieht der Kreis Germersheim eine kritische Grenze erreicht und der Kreis Bernkastel-Wittlich schaltet auf der Suche nach Wohnraum Anzeigen: Die anhaltend hohe Zahl der nach Rheinland-Pfalz kommenden Flüchtlinge treibt die Kommunen um. Und es kommen Stimmen auf, dass die Solidarität bröckeln könnte.

„In allen Städten spitzt sich die Lage zu“, sagt etwa Michael Mätzig, Geschäftsführender Direktor des Städtetages Rheinland-Pfalz. Und für den Gemeinde- und Städtebund formuliert es das geschäftsführende Vorstandsmitglied Karl-Heinz Frieden so: „Die dezentralen Unterbringungsmöglichkeiten der Kommunen sind weitgehend erschöpft.“

Das Integrationsministerium in Mainz erwartet in den kommenden Monaten mindestens eine auf dem „aktuell hohen Niveau“ bleibende Zahl an Asylsuchenden. Der Gemeinde- und Städtebund im Land verweist auf Prognosen des Bundes, wonach für das erste Halbjahr 2023 rund 10.000 Asylbewerber für Rheinland-Pfalz prognostiziert würden. Das seien fast so viele wie im Gesamtjahr 2022 aufgenommen worden seien. 2022 seien zudem noch mehr als 44.200 Menschen aus der Ukraine ins Land gekommen, die vor dem russischen Angriffskrieg geflohen seien.

„Fest steht, dass mit einem zeitnahen Kriegsende nicht zu rechnen ist und Russland den Angriffskrieg in immer neuen Wellen vorantreibt“, sagt Frieden. „Der Zuzug aus der Ukraine ist nach wie vor auf hohem Niveau.“ Und die Erdbeben in der Türkei und in Syrien könnten zumindest mittelfristig zu einem weiteren Anstieg der Zahlen führen. Außerdem hätten viele Menschen, die 2015 und 2016 ins Land gekommen seien, auf dem regulären Wohnungsmarkt keine Unterkunft gefunden und seien daher weiter in kommunalen Wohnungen, erklärt Frieden.

Für Frieden stehen nicht nur Städte vor Problemen, fordernd sei die Situation auch für ländliche Gegenden wie die Kreise Cochem-Zell und Bernkastel-Wittlich, die neben der Aufnahme von Asylbewerbern einen hohen Zuzug von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine hätten.

„Die Belastungsgrenze ist definitiv erreicht“, bestätigt die Sprecherin des Kreises Bernkastel-Wittlich, Stefanie Rodermund. „Es finden sich nur noch in Einzelfällen Wohnungen.“ Alle Verbandsgemeinden im Kreis, die Stadt Wittlich und die Gemeinde Morbach schalteten wöchentliche Anzeigen in amtlichen Mitteilungsblättern, dass dringend Wohnraum gesucht werde. Ein zu Beginn der Fluchtbewegung aus der Ukraine angemietetes Hotel möchte der Kreis halten und gleichzeitig keine Sporthallen oder Bürgerhäuser belegen. „Gerade der Schul- und Vereinssport hat in den vergangenen beiden Corona-Jahren genug Einbußen hinnehmen müssen“, erklärt der Kreis.

Im Süden des Landes sieht der Landrat des Kreises Germersheim, Fritz Brechtel (CDU), bei der Unterbringungssituation von geflüchteten Menschen eine kritische Grenze „längst erreicht.“ Unter anderem werde eine ehemalige Schule genutzt, doch die sei für keinen langfristigen Aufenthalt geeignet. Auch werde geprüft, ob und wo es Flächen für Wohncontainer gebe. Allerdings sei die Beschaffung solcher Container derzeit sehr schwierig und kurzfristig keine Lösung. „Es ist keine primär finanzielle Frage, die Menschen unterzubringen, sondern schlichtweg eine Frage der Wohnraumkapazitäten“, sagt Brechtel.

Auch die Landeshauptstadt Mainz ist konstant auf der Suche nach weiteren Unterbringungsmöglichkeiten. Als Notunterkunft wird etwa eine Turnhalle im Stadtteil Laubenheim genutzt. Mit Messebauelementen seien dort 45 nach oben offene Räume entstanden, um etwas Privatsphäre zu bieten. Auf dem Layenhof plant Mainz den Bau mehrerer Gebäude aus Holzmodulen mit voraussichtlich rund 250 Plätzen bis 2024. Auch sollte dort eine Containeranlage für rund 100 Menschen entstehen - auf einer Freifläche, die von Bewohnern als Bolzplatz genutzt wird. „Von diesen Plänen hat die Stadt Mainz zwischenzeitlich Abstand genommen“, teilt eine Sprecherin mit. Alternativen werden gesucht.

All das kostet - und Geld ist knapp. „Das Land hat uns auszufinanzieren“, sagt Mätzig vom Städtetag. Auch Frieden vom Gemeinde- und Städtebund fordert eine dauerhaft auskömmliche Finanzierung. Das Land müsse seine Erstaufnahmeeinrichtungen weiter massiv ausbauen, der Bund eigene Liegenschaften zur Verfügung stellen oder Objekte anmieten.

Das Integrationsministerium in Mainz verweist auf den bereits erfolgten und laufenden Ausbau der Kapazitäten in den Erstaufnahmen (AfA). Im vergangenen Jahr sei die Zahl der Plätze von 3300 auf rund 7450 erhöht worden, darin enthalten seien auch 680 Plätze als Notfallreserve in einer Tennishalle in Bernkastel-Kues an der Mosel. In Hermeskeil im Hunsrück, in Kusel in der Westpfalz und in Speyer wurden demnach zu den AfAs gehörende Sporthallen belegt und beheizbare Hallen aufgebaut. Wohncontainer sind in den AfAs Hermeskeil, Speyer und Trier aufgebaut worden. In Bernkastel-Kues entstand eine Außenstelle namens Moselpark, in Bitburg wurde ein Hotel angemietet. Am Flughafen Hahn wird gerade eine neue Außenstelle der AfA Kusel aufgebaut, die bei voller Belegung eine Kapazität mit bis zu 600 Plätzen in Wohnappartements haben wird.

Lisa Diener, Geschäftsführende Direktorin des Städtetages, fehlt ein langfristig angelegtes Konzept für die Aufnahme und Integration von geflüchteten Menschen. „Hierzu gehört auch, dass die aktuellen Strukturen und Regelungen hinterfragt werden“, betont sie. Der Bund sollte eigene Aufnahmeeinrichtungen schaffen und es sollten nur noch Menschen mit Bleibeperspektive auf die Kommunen verteilt werden.

Aktuell fehle es an Raum für die Unterbringung, an Versorgung und Integrationsleistungen wie Sprachkursen, Kita- und Schulplätzen, an Personal für die Betreuung und eben einer auskömmlichen Finanzierung, sagte Diener. „Es wurde ganz lange nichts gemacht, man hat es so weit getrieben, dass wir wirklich in einer grenzwertigen Situation sind.“ Und: „Ein weiterer Punkt, der langsam an die Grenze kommt, ist die gesellschaftliche Akzeptanz“, sagte Diener. „Es gibt schon Grund zur Sorge, dass die Solidarität so nicht mehr mitgetragen wird.“

Wie belastend die gestiegenen Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen, aber auch für den Kita- oder ÖPNV-Ausbau und andere Dinge sind, zeigt sich den Kommunalverbänden nach auch daran, dass die Kommunalaufsicht ADD bei immer mehr Kommunen die Genehmigung der Haushalte ausgesetzt und Haushaltsverbesserungen gefordert hat.

Das Innenministerium in Mainz bestätigt, dass von den bei der ADD vorgelegten Haushaltssatzungen 25 in Prüfung seien - mehr als in den vergangenen Jahren. Von den insgesamt von der ADD beaufsichtigten 45 Kommunen hätten fünf noch keine Haushaltssatzungen abgeschlossen, bei 15 Kommunen sei die Prüfung abgeschlossen. Das Land lasse die Kommunen aber nicht im Stich, habe die Kommunalfinanzen mit der Reform des kommunalen Finanzausgleichs und mit dem Landesgesetz über die Partnerschaft zur Entschuldung der Kommunen gestärkt.

© dpa-infocom, dpa:230312-99-921081/2

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