Der Marmorweg zur Basilika Unserer lieben Frau vom Rosenkranz ist frisch poliert, die Tribüne für die Fernsehkameras aufgebaut, das Hotel "Aleluia" ist trotz exorbitanter Preise seit langem ausgebucht, Tausende portugiesischer Polizisten proben seit Tagen für ihren größten Einsatz in der Geschichte des Landes: Am Samstag kommt Papst Franziskus in den Wallfahrtsort Fátima, er will zwei der drei Hirtenkinder heiligsprechen, denen vor genau 100 Jahren auf einem Feld an der Stelle, auf der die neobarocke Basilika errichtet wurde, erstmals die Jungfrau Maria erschienen sein soll. Mehrere Millionen Pilger aus aller Welt werden erwartet.
Doch nicht nur die Sicherheitsexperten machen sich in Zeiten des islamistischen Terrors Sorgen um den Schutz des Heiligen Vaters und der Gläubigen. Auch die Meteorologen schauen sich besorgt die Satellitenbilder an, die zunehmend Wolkenzusammenballungen über dem Atlantik zeigen. Für das Papstwochenende sei mit heftigen Regengüssen zu rechnen, orakelt die portugiesische Presse. Und das bliebe nicht ohne Folgen für die Messe mit der Heiligsprechung unter freiem Himmel.
Denn dem riesigen Platz zwischen der Basilika mit ihrer goldenen Krone auf der Turmspitze und der riesigen kreisrunden Dreifaltigkeitskirche, die an ein modernes Kongresszentrum erinnert, droht die Überflutung. Beide Gotteshäuser stehen auf Anhöhen, die asphaltierte Fläche dazwischen, mit rund 35 Hektar der größte Kirchenvorplatz der Welt, fällt von beiden Enden her zur Mitte ab; doch haben die Architekten offenkundig eine Kanalisation vergessen, die das Regenwasser abführen könnte.
Fátima ist einer der wichtigsten Wallfahrtsorte der katholischen Christenheit geworden, Pilgergruppen aus aller Welt ziehen über den Vorplatz, Dutzende von Landesfahnen sind auszumachen, von Brasilien über die Ukraine bis zu Südkorea. In sechs Sprachen wird auf dezenten Schildern vor Automardern und Taschendieben gewarnt. Die Andenkenläden sind vom Gelände des "Heiligtums von Fátima", wie es offiziell heißt, verschwunden, sie reihen sich aber dicht an dicht in der knapp 12 000 Einwohner zählenden Kleinstadt
Zwei Kinder starben bald, Lúcia wurde 97
Heiligen- und Papstfiguren aller Arten und Größen stehen in den Schaufenstern und Kiosken, wobei sich der ewig lächelnde Franziskus und der in allen romanischen Ländern nach wie vor hochverehrte Johannes Paul II. einen Wettstreit zu liefern scheinen. Es war der polnische Papst, der die beiden früh gestorbenen Hirtenkinder selig gesprochen hat. Sein Nachnachfolger aus Argentinien verkündete vor zwei Monaten, nun sei der Beweis dafür erbracht, dass sie ein Wunder bewirkt hätten, somit die kirchenrechtliche Voraussetzung für die Heiligsprechung erfüllt sei.
Das Wachsfigurenmuseum von Fátima stellt die Geschichte der Geschwister Jacinta und Francisco Marto sowie ihrer Cousine Lúcia Santos dar. Sie hüteten im März 1917 Schafe unweit des Dorfes, als ihnen ein Engel erschienen sein soll; sie waren damals sieben, acht und zehn Jahre alt und Analphabeten. Am 13. Mai war es dann die Jungfrau Maria höchstselbst, die ihnen aufgetragen haben soll, sich zum 13. jedes Monats am selben Platz einzufinden. Die Geschichte sprach sich herum, immer mehr Menschen begleiteten die drei Kinder. Am 13. Juli berichteten mehrere Teilnehmer der spontanen Wallfahrt zu dem Feld über dem Dorf, dass sich die Sonne in eine um sich selbst drehende Feuerscheibe verwandelt habe. Die drei Kinder, und nur sie, aber sahen erneut die Gottesmutter, sie habe ihnen drei Geheimnisse anvertraut, die sie aber nicht verraten dürften.
Die beiden Geschwister starben kurz hintereinander wenig später, Lúcia de Santos aber lernte schreiben und ging noch als Jugendliche in ein Kloster. Zum 10. Jahrestag der Erscheinungen gab sie an, vom Himmel den Auftrag bekommen zu haben, die drei Geheimnisse aufzuschreiben. Doch sie musste das Papier auf Anweisung eines Priesters verbrennen. Als in Europa längst Krieg herrschte, schrieb sie 1941 erneut die Worte auf, die die Jungfrau Maria ihr gesagt haben soll. Das Papier mit dem Text des dritten Geheimnisses legte sie indes in einem Briefumschlag und versiegelte diesen; sie schrieb darauf, dass der Umschlag nicht vor 1960 zu öffnen sei.
Dieses Mal nun fand sie Gnade bei den Kirchenoberen, die auch längst ihren Segen für den Bau einer Basilika an dem Ort der angeblichen Marienerscheinung gegeben hatten. Der zuständige Bischof ließ den Text der ersten beiden Geheimnisse von Fátima veröffentlichen, der versiegelte Brief mit dem dritten aber kam zunächst in das bischöfliche Archiv, später wurde er dem Vatikan übergeben.
Im ersten Geheimnis ist von einem "großen Feuermeer" die Rede, von "Schmerzensgeheul und Schreckensschreien" sowie "glühenden Kohlen in menschlicher Gestalt", doch werde bald wieder Friede herrschen, wenn die Menschen sich wieder Gott zuwenden. Der Text wurde als Hinweis auf das baldige Ende des Ersten Weltkriegs interpretiert. Im zweiten Geheimnis wird erneut vor einem künftigen "schrecklichen Krieg" gewarnt, in dem "verschiedene Nationen der Vernichtung anheimfallen" ebenso wie vor Irrlehren, die dazu führten, dass "die Guten gemartert" werden. Ausdrücklich ist von Russland die Rede, das sich aber wieder bekehren werde, falls die Menschen nur genug darum beteten. Für die katholische Welt war klar, dass damit das kommunistische Regime gemeint war, das die Gläubigen blutig verfolgen ließ.
Allerdings brachten Skeptiker vor, dass ein zehn Jahre altes ungebildetes Mädchen kaum solche komplexen Gedanken hätte verarbeiten können, die Texte seien zweifellos viel später von Kirchenleuten verfasst worden. Dafür sprach auch der Fehler in der Chronologie: Als im Juli 1917 die Gottesmutter den drei Kindern die drei Geheimnisse anvertraut haben soll, waren die Bolschewiken in Russland noch gar nicht an der Macht. Diese haben sie erst in einem später zur "Oktoberrevolution" verklärten Putsch an sich gerissen.
Um das dritte Geheimnis aber entstanden zahllose Spekulationen, es wurde auch beliebter Gegenstand der Boulevardpresse. Angeblich enthielt es die Voraussage, dass weite Teile der Welt im Feuersturm eines Atomkriegs untergehen würden. Im Jahr 2000 veröffentliche der Vatikan schließlich den Text. Er sagt voraus, dass ein "in Weiß gekleideter Bischof", also der Papst, durch eine Gruppe von Soldaten erschossen werde, und mit ihm viele andere Priester und Gläubige.
Hinweis auf das Attentat auf Johannes Paul II.?
Kirchenleute sahen darin einen Hinweis auf das Attentat auf Johannes Paul II. auf dem Petersplatz in Rom vom 13. Mai 1981, also einem Jahrestag der ersten Marienerscheinung. So sah es offenbar auch der Papst selbst, der dreimal nach Fátima reiste und dort auch die mittlerweile betagte Lúcia de Santos traf. Sie starb wie er im Jahr 2005, sie wurde 97 Jahre alt. Ihre Gebeine wurden neben denen der beiden anderen Hirtenkinder in der Basilika beigesetzt. In der katholischen Welt wird erwartet, dass auch sie selig gesprochen wird.
Diese ist nun das Hauptziel der Pilger. Täglich sind dabei auch einige Dutzend dabei, die die letzten 400 Meter demütig auf den Knien, auf allen Vieren oder gar robbend zurücklegen wollen. Für sie wurde der Marmorweg quer über den großen asphaltierten Vorplatz neu poliert. Findige Andenkenhändler haben deshalb auch Knieschützer im Angebot. Zwischen all den Heiligenfiguren hängen auch zuhauf Beine, Hände, Babypuppen und Frauenbrüste aus gelblichem Wachs, es handelt sich um Kerzen, die Gebete mit einem besonderen Anliegen unterstützen sollen: gesunde Gliedmaßen, Nachwuchs oder Bewahrung vor Krebs. Für ein paar Cents gibt es auch vorformulierte Fürbitten zu all den Sorgenthemen. Ein Gebet um Sonnenschein anstatt Wolkenbruchs ist allerdings nicht dabei.
Anm. d. Red.: In einer früheren Version des Textes stand, dass alle drei Hirtenkinder heiliggesprochen werden sollen. Das ist falsch. Nur die beiden bereits früh verstorbenen Geschwister sind bereits selig gesprochen worden und sollen nun den Heiligenstatus erhalten.