Sie sind die, die langsam fahren und glotzen, wenn auf der Gegenfahrbahn ein Unfall passiert ist. Die den Hals recken und neugierig hinlaufen, wenn sie irgendwo ein Blaulicht sehen. Die auf dem Deich stehen und starren, während alle anderen Sandsäcke schichten: Sie sind Gaffer - und das ist ihnen meistens nicht einmal peinlich.
"Wenn wir die Leute auffordern, nach Hause zu gehen oder sich nützlich zu machen, dann reagieren sie kaum. Vielleicht geht mal einer fünf Meter weiter und begibt sich außer Sichtweite, aber das wars dann auch", sagt Hartmut Ziebs. Der Vizepräsident des Deutschen Feuerwehrverbands ist als Einsatzleiter in den Hochwassergebieten Niedersachsens unterwegs. Probleme mit Katastrophentouristen gehören für ihn zum Alltag.
Es sind nicht nur die Schaulustigen an sich, die die Arbeit der Einsatzkräfte behindern. Oft stören auch die Fahrzeuge, mit denen sie gekommen sind. Wild geparkte Autos und Motorräder stehen da, wo eigentlich Einsatzwagen rangieren und Material abladen müssten. Wo Helfer Platz brauchen, um ihrer Arbeit sinnvoll nachgehen zu können.
"Ich habe es gerade bei einer Fahrt nach Niedersachsen wieder erlebt", berichtet Ziebs. Er sei mit seinem Wagen in einen Stau geraten. Der Grund: ein Unfall. Anstatt den Weg für Polizei und Krankenwagen frei zu machen, seien immer mehr Menschen aus ihren Autos gestiegen und hätten gegafft. "Ich kann das nicht verstehen, aber ich glaube, es ist ein wenig wie beim Hochwasser", sagt Ziebs, "die Leute denken sich 'Das will ich auch mal gesehen haben'. Weiter denken sie anscheinend nicht."
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Gerd Reimann wird noch deutlicher: "Gaffen ist eine bewusste und aktive Handlung", sagt der Psychologe. Manche Leute würden absichtlich den Ort des Geschehens aufsuchen, um das Leid anderer zu bestaunen. Sie seien von Neugier und Sensationslust getrieben - und von der Suche nach dem emotionalen Kick. Dadurch, dass ein Gaffer aus einer sicheren Distanz heraus beobachten könne und selbst nicht betroffen sei, erlebe er einen Adrenalinstoß, erläutert Reimann.
Doch warum glotzen manche Menschen untätig auf einen Unfall oder eine Überschwemmung und andere nicht? "In gewisser Weise steckt in jedem von uns ein Gaffer - jemand der sich brennend für spannende Dinge und aktuelle Geschehnisse interessiert", sagt der Psychologe. Doch sei die Sensationsgier von Mensch zu Mensch unterschiedlich ausgeprägt - und nicht jeder lebe sie tatsächlich aus.
Dass die Leute nicht einfach mit anpacken, ist für Reimann kein Wunder. Hier spiele der "Non-Helping-Bystander-Effekt" eine Rolle: Je mehr Menschen untätig zuschauen, umso weniger fühlt sich der Einzelne in der Verantwortung zu handeln. Ein Effekt, der sich auch bei Gewalttaten vor vielen Zeugen immer wieder beobachten lässt. Der Einzelne hofft auf die anderen, anstatt selbst Zivilcourage zu beweisen. Doch könnten mit ein wenig Ansporn durch die Sicherheitskräfte zumindest aus manchen Gaffern tatsächlich Helfer gemacht werden, glaubt Reimann.
Der Chef des Deutschen Feuerwehrverbands, Hans-Peter Kröger, drohte bereits am vergangenen Wochenende, Schaulustige in Zukunft zum Anpacken zu verdonnern. Die Brandschutzgesetze der Länder und die Landeskatastrophenschutzgesetze böten dafür die nötigen rechtlichen Grundlagen. Ein Einsatzleiter könne jeden über 16 Jahren zum Helfen heranziehen.
Eine Zwangsverpflichtung muss nach Meinung des Psychologen Reimann nicht sein: Schon ein einfacher Appell an das Mitgefühl könnte etwas bewegen. Schaulustigen fehle oft das Bewusstsein dafür, dass sie auch selbst von einem Unfall oder einem Hochwasser getroffen werden könnten - und dass sie sich dann auch über jeden Helfer mehr und jeden Gaffer weniger freuen würden.
Dieses Bewusstsein, so der Psychologe, sollten Einsatzkräfte stärken - schon allein, um den Opfern eines Unglücks das angestarrt Werden zu ersparen. Denn letzten Endes leidet nicht nur die Arbeit der Einsatzkräfte unter den Gaffern, sondern auch das Selbstwertgefühl der Betroffenen.