Flutkatastrophe :Dreyer verteidigt Einsatzleitung - Rücktritt gefordert

Lesezeit: 3 min

Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, kommt zur Sitzung des Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal. (Foto: Boris Roessler/dpa)

Als es um die Betroffenen der Flutkatastrophe geht, stockt die Stimme der Ministerpräsidentin. Inhaltlich bleibt Dreyer bei ihrer zweiten Vernehmung im Untersuchungsausschuss bei ihren Aussagen vom April. AfD und CDU fordern ihren Rücktritt.

Von Ira Schaible und Christian Schultz, dpa

Mainz (dpa/lrs) - Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer hat in der verheerenden Flutnacht 2021 nach eigener Aussage auf den Katastrophenschutz vor Ort vertraut und die damalige Einsatzleitung der Landesbehörde ADD verteidigt. Das Ausmaß der Katastrophe sei ihr erst am Morgen danach, am 15. Juli, deutlich geworden, wiederholte die SPD-Politikerin am Freitag während ihrer zweiten Befragung im Untersuchungsausschuss des Landtages in Mainz.

Sie blieb in der gut dreistündigen Vernehmung bei ihren Aussagen vom April 2022, als sie erstmals ausgesagt hatte. „Als Ministerpräsidentin bin ich nicht Bestandteil der operativen Krisenbewältigung“, betonte sie am Freitag. Teile der Opposition forderten nach der 40. Sitzung des Gremiums Dreyers Rücktritt.

Sie müsse die Konsequenzen ziehen, „wie es bereits Minister vor ihr getan haben“, sagte CDU-Obmann Dirk Herber. „Wir fanden den Auftritt der Ministerpräsidentin beschämend.“ Sie habe eine weitere Chance verpasst, für Aufklärung zu sorgen, habe es verpasst, sich bei den Menschen im Ahrtal zu entschuldigen. „Es fehlt die Reflexion über das Fehlverhalten der Landesregierung, an deren Spitze sie steht.“

Im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe, bei der im Ahrtal 134 Menschen ums Leben gekommen waren, waren Innenminister Roger Lewentz (SPD) und Ex-Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) zurückgetreten. Spiegel war zum Zeitpunkt ihres Rückzugs aus der Politik bereits Bundesfamilienministerin.

AfD-Obmann Michael Frisch begründete seine Rücktrittsforderung so: „Die Ministerpräsidentin hat sich in der Flutnacht nicht darum gekümmert, was ihre Minister tun. Sie hat nicht sichergestellt, dass sie kommunizieren und zusammenarbeiten, und wir wissen, dass das ein wesentlicher Grund für die dramatischen Folgen gewesen ist.“ Aus Respekt vor den Opfern und den Menschen im Ahrtal müsse Dreyer ihr Amt zur Verfügung stellen.

Die dritte Oppositionspartei, die Freien Wähler, schloss sich den Rücktrittsforderungen nicht an. Dreyer sei gut vorbereitet gewesen und habe sich sehr professionell verhalten, sagte der Vertreter der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid. „Sie hat sich in den zu erwartenden Parametern bewegt.“ Wefelscheid forderte aber einmal mehr die Entlassung des Präsidenten der Katastrophenschutzbehörde ADD, Thomas Linnertz. Die ADD hatte am 17. Juli die Einsatzleitung übernommen.

Dreyer stärkte Linnetz dagegen im Ausschuss den Rücken. Sie habe es damals so wahrgenommen, dass die Einsatzleitung ADD unter seiner Leitung alles gegeben habe. Die Einsatzleitung sei für die Regierung rund um die Uhr erreichbar gewesen, Linnertz und seine Mitarbeiter hätten eine Riesenaufgabe bis zur Erschöpfung wahrgenommen.

Sie selbst habe am 14. Juli 2021 von der damaligen Umweltministerin Spiegel erfahren, dass die Staatssekretäre aus Umwelt- und Innenministerium im Austausch seien, sagte Dreyer. Am 15. Juli, dem Morgen nach der Flutnacht, habe ihr am 7.26 Uhr der Lagebericht vorgelegen. Da sei ihr klar geworden, dass es sich um eine sehr große Katastrophe handelt. „Am schlimmsten war für mich, dass die Zahl der Toten und Vermissten jede Stunde stieg.“

Dass es rückblickend offensichtlich Kommunikationsmängel im Zuständigkeitsbereich des Innenministers gegeben habe, dafür habe der inzwischen zurückgetretene Lewentz die politische Verantwortung übernommen.

Um das Funktionieren der ADD-Einsatzleitung vom 17. Juli bis zum 6. August dreht sich auch ein Gutachten, das zuvor im Ausschuss vorgestellt worden war. Darin kommt der Berliner Wissenschaftler Dominic Gißler für Führung im Bevölkerungsschutz unter anderem zu dem Schluss, dass die Einsatzleitung kein ausreichendes Ordnungspotenzial aufgebracht habe. Bei Personalwechseln sei es zu Reibungsverlusten gekommen. „Das hat zu einer allgemeinen Dysfunktionalität geführt.“ Einsatzstäbe hätten in relevanten Zeitabschnitten unzureichend funktioniert, sagte Gißler. „Der Zug war dann quasi abgefahren.“

Ein Fazit des Sachverständigen: Im Katastrophenschutzsystem in Deutschland würden nicht die notwendigen Spezialisten ausgebildet, die sich um das Führungssystem bei solch komplexen Einsätzen kümmern könnten. Es gebe abgesehen von der Polizei nicht mehr als ein Dutzend solcher Spezialisten. Es gebe ein „systematisches Problem“.

Dreyer betonte nach der mehr als dreistündigen Vernehmung, ihr sei die Aufarbeitung im U-Ausschuss wichtig, um Konsequenzen aus dieser Krise zu ziehen. An die Menschen gerichtet, die an den Folgen der Flut leiden, sagte Dreyer, „dass es mir sehr, sehr Leid tut und ich auch oft in Gedanken bei ihnen bin“. Der Katastrophenschutz im Land werde neu aufgestellt. „Wir haben erkannt in dieser schrecklichen Flutkatastrophe, dass ein Katastrophenschutz der über viele Jahrzehnte unsere Bevölkerung schützen konnte, nicht mehr ausreichte bei einer so großen Katastrophe“, sagte die SPD-Politikerin. „Das ist für mich die wichtigste Lehre aus dieser Flutkatastrophe.“

© dpa-infocom, dpa:230324-99-75516/5

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: