Prozess in Bochum:Junge im Schrank: Neun Jahre Haft für den Täter

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In diesem Mehrfamilienhaus in Recklinghausen wurde der Junge kurz vor Weihnachten 2019 in einem Schrank entdeckt. (Foto: Marcel Kusch/dpa)

Der Mann soll sich mehr als 400 Mal an dem Teenager vergangen haben. Der 13-Jährige war 2017 aus seiner Wohngruppe verschwunden und erst zweieinhalb Jahre später in der Wohnung seines Peinigers gefunden worden - aus Zufall.

Im Prozess um sexualisierte Gewalt gegen einen Jungen in Recklinghausen in mehr als 400 Fällen ist der Täter zu neun Jahren Haft verurteilt worden. Darüber hinaus ordnete das Bochumer Landgericht am Donnerstag die Unterbringung des Deutschen in der Sicherungsverwahrung an. Der Junge war im Sommer 2017 aus einer betreuten Wohneinrichtung für Jugendliche verschwunden und erst zweieinhalb Jahre später von der Polizei entdeckt worden - aus Zufall. Als Beamte kurz vor Weihnachten 2019 die Wohnung des Angeklagten durchsuchten, weil es Hinweise darauf gegeben hatte, dass der heute 46-Jährige Bilder und Videos mit kinderpornografischem Inhalt besessen und getauscht hatte, hockte der Junge in einem Kleiderschrank im Schlafzimmer.

"Wir gehen davon aus, dass es in der gesamten Zeit fast täglich zu einem sexuellen Übergriff gekommen ist", sagte Richter Stefan Culemann in seiner Urteilsbegründung. Und selbst mit einem "Sicherheitsabschlag zu Gunsten des Angeklagten von 50 Prozent" stehen im Urteil am Ende noch mehr als 400 Einzeltaten.

Erster Kontakt in einem Messenger-Chat

Fest steht für die Richter auch: Es war der Junge, der den Kontakt mit dem Mann suchte. Nachdem sie sich in einem Messenger-Chat kennengelernt hatten, bei dem immer klar war, dass sexuelle Inhalte geteilt wurden, kam es im Juni 2017 zu einem ersten realen Treffen im Kreis Recklinghausen. Laut Urteil hat der Junge bei einer nicht-öffentlichen Zeugenvernehmung eingeräumt, dass er dabei freiwillig sexuelle Handlungen des Mannes zuließ, um sein Taschengeld aufzubessern. "Für die späteren Übergriffe gilt das aber nicht mehr", sagte der Vorsitzende Richter am Donnerstag. Eine Vielzahl von Taten soll der 46-Jährige verübt haben, als der Junge schlief. Bei anderen soll der Schüler Videos geguckt oder auf seinem Handy gespielt haben.

Bei der Wohnungsdurchsuchung waren Hunderte Bilder und Videos mit sexuellem Inhalt sichergestellt worden. Darüber hinaus konnten die Beamten die Chats mit mehreren anderen Männern rekonstruieren, bei denen sich die Beteiligten über pädosexuelle Fantasien austauschten. Der Erklärung des 46-Jährigen, die Initiative zu den sexuellen Kontakten sei die ganze Zeit über von dem Jungen ausgegangen und er habe sich einfach nicht dagegen wehren können, schenkte das Gericht deshalb keinen Glauben. "Es war anders. Das wissen wir", sagte Richter Culemann.

Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer elf Jahre Haft, die Nebenklage sogar 15 Jahre Haft gefordert. Die Verteidiger hatten auf maximal sieben Jahre Haft plädiert. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

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