Um acht Uhr morgens verlässt Edith Klenk mit ihrer Bella das Haus in Denkendorf bei Stuttgart zum Gassigehen. Um 13 Uhr ist die Labradorhündin tot. Zunächst haben sie nichts gemerkt, erzählt Oliver Klenk, der Sohn der Hundebesitzerin. Erst gegen zehn, halb elf sieht die Familie, dass der Hund offensichtlich Schmerzen hat. Sie bringen ihn direkt zum Tierarzt. Der röntgt das Tier, legt Infusionen, aber in der kurzen Zeit findet er nicht heraus, woran der Labrador stirbt. Das wird erst klar, als Familie Klenk die Hündin obduzieren lässt. Beim Spaziergang hat sie einen Köder gegessen, der mit dem Pflanzenschutzmittel E605 bestrichen war. "Es war ein elendiger und qualvoller Tod", sagt Oliver Klenk.
In Deutschland geht gerade ein Sommer zu Ende, in dem es vielen Hunden so gegangen ist wie Bella. Auf Facebook gibt es dramatische Aufrufe und eigene Seiten besorgter Hundehalter, die vor Gefahren warnen. Lokalzeitungen sind voller Meldungen wie "Hund verendet an Giftköder" (Meßstetten, Schwaben), "Spaziergang endet tragisch" (Döhlau, Franken) oder "Schon wieder Nagelköder im Leipziger Park entdeckt". Und die Geschichten ähneln sich: Ein Unbekannter legt Köder aus, die mit Gift oder scharfen Gegenständen wie Nägeln oder Rasierklingen präpariert sind.
Einige Halter setzen auf "Doggysany" - ein Netz für die Hundeschnauze
Es sieht so aus, als seien noch nie so viele Hundehasser unterwegs gewesen wie in diesem Jahr. Weil die Polizei diese Vergehen normalerweise allgemein unter "Verstöße gegen das Tierschutzgesetz" erfasst, können nur Länder Auskunft geben, die für solche Fälle eine gesonderte Statistik führen. In Bayern ist die offizielle Zahl von 60 Fällen (2011) auf 100 Fälle (2014) gestiegen. Auch in diesem Jahr sei absehbar, dass sich der Trend fortsetze, sagt eine Sprecherin. In Rheinland-Pfalz sieht die Sache ähnlich aus. Die Tierschutzbeauftragte des Landes Baden-Württemberg, Cornelie Jäger, sagt: "Wir bekommen definitiv mehr Berichte als in den letzten Jahren."
Immer mehr Hundebesitzer stellen sich auf die Gefahr ein, die auf der Straße liegt. Iris Tröster aus Franken etwa hat einen Schutz gegen Giftköder erfunden, den sie "Doggysany" genannt hat, eine Art Netz, das der Hund um die Schnauze legen muss, das aber leichter und flexibler ist als ein Maulkorb. Nach eigenen Angaben hat sie bisher 500 Stück in alle Welt verkauft.
Eine andere Möglichkeit ist, dem Tier beizubringen, nichts zu essen, was auf dem Boden liegt. Elisa Lange betreibt eine Hundeschule in Berlin, seit diesem Jahr bietet sie spezielle Kurse an: Hunde sollen lernen, Essen auf dem Boden nicht sofort zu fressen, sondern erst dem Herrchen oder Frauchen anzuzeigen. Die Nachfrage sei vor allem im Sommer "sehr hoch" gewesen, sagt Lange. Im Prinzip könne es jeder Hund lernen, allerdings erfordere das großes Engagement vom Hundehalter.
Manchmal reicht eine Drohung, um Hundebesitzer in Panik zu versetzen
Die meisten Hundebesitzer setzen eher auf das Prinzip Vorwarnung und vor allem auf das Internet und die sozialen Netzwerke. Beinahe jede Stadt oder jeder Kreis besitzt eine Facebook-Seite mit dem Namen "Giftköder-Alarm". Die größte Seite heißt Giftköder-Radar.com und hat etwa 150 000 Nutzer. Auf der Seite sieht man eine Deutschlandkarte mit Markierungen, wo Gift- oder Nagelköder gefunden wurden. Die Seite wurde von Amalia und Sascha Schoppengerd ins Netz gestellt, nachdem sie im Juni 2011 in einer Fernsehsendung zum ersten Mal von solchen Ködern hörten. Weil es im Internet keine zentrale Infoseite dazu gab, programmierten die beiden Softwareentwickler sie selbst. Die Seite wird ständig aktualisiert, da die zwei Betreiber versuchen, jede Meldung, so gut es geht, nachzuprüfen.
"Vor allem in Großstädten gibt es verhältnismäßig viele Vorfälle, weil sich dort Menschen und Hunde wenig Platz teilen müssen", sagt Amalia Schoppengerd. In Berlin etwa eskalierte im Juli der Streit um ein Hundeverbot in einem Naherholungsgebiet so sehr, dass Hundegegner zum Schlachtfest am Schlachtensee riefen. Amalia Schoppengerd sagt, sie investiere viel Zeit, um echte von unechten Meldungen zu unterscheiden, frage bei der Polizei nach, kontaktiere lokale Tierärzte. Denn mittlerweile seien viele Hundehalter sehr sensibel für dieses Thema. Wenn ein potenzieller Köder-Leger zum Beispiel keine Hunde mehr an seinem Lieblingssee haben will, könnte es mittlerweile schon reichen, einfach eine falsche Warnung rauszugeben. "Solche Drohungen haben inzwischen eine Eigendynamik entwickelt", sagt Schoppengerd.
Ein Problem ist, dass die Täter selten geschnappt werden. Die Polizei sichert zwar Spuren, wenn Anzeige erstattet wird, kann aber meist nichts tun. Wer ein vergiftetes Leckerli auf einer vielbenutzten Strecke hinterlassen hat, ist oft nicht mehr zu ermitteln.
Ein Tierheim in Gießen wurde deutschlandweit bekannt, weil die Halter dort auf ihrer Internetseite intensiv über die Vorfälle um das Heim berichteten. Sie dokumentierten 200 präparierte Köder; zwei ihrer Hunde starben nur deswegen nicht an Nagelködern, weil ihnen eine Tierärztin rechtzeitig ein Brechmittel spritzte. Einer der Hunde hatte 20 Nägel im Magen. Daraufhin stattete sich das Tierheim mit Bewegungsmeldern, Panoramakameras und Scheinwerfern aus und versprach eine Belohnung von 6000 Euro bei Hinweisen zur Ergreifung des Täters. "Bisher war alles vergeblich, obwohl die Polizei sich wirklich intensiv bemüht hat", sagt Katja Kastl, Geschäftsleiterin des Tierheims. "Wir können jetzt nur hoffen, dass nichts weiter passiert."