Hochwasser:Venedig geht unter

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Das Telefonnetz ist in Teilen zusammengebrochen, der öffentliche Nahverkehr eingestellt, Schulen bleiben geschlossen und mindestens zwei Menschen sind gestorben: Venedig erlebt das schlimmste Hochwasser seit 1966.

Von Thomas Steinfeld

Zu den schönen Brücken Venedigs zählt diese Provisorische eher nicht. Aber nötig ist sie. (Foto: Instagram/Aquaapartments via Reuters)

In den vergangenen zwei, drei Jahrzehnten gab es immer wieder Winter, in denen zumindest Teile Venedigs mehr oder minder wöchentlich von einem Hochwasser überspült wurden, vor allem im Spätherbst. Dann sorgen Wind, Regen und die Anziehungskraft des Mondes dafür, dass nicht nur das Wasser aus den Kanälen über die Ufer steigt, sondern auch aus allen Gullys nach oben quillt. Eine "acqua alta", wie sie die Stadt in der Nacht von Montag auf Dienstag traf, hat es jedoch seit dem Jahr 1966 nicht mehr gegeben.

Ein Sturm mit Windgeschwindigkeiten um 100 Stundenkilometer trieb das Meer in die Lagune. Um 187 Zentimeter stieg das Wasser über den normalen Pegelstand, was nicht nur bedeutet, dass mehr als vier Fünftel Venedigs unter Wasser gesetzt wurden, sondern auch, dass die Flut erhebliche Schäden an den Bauwerken verursachte, nicht zuletzt an der Markuskirche. "Wir befinden uns einen Atemzug vor der Apokalypse", erklärte der Baumeister der Basilika. Auf der Insel Pellestrina, die der Lagune vorgelagert ist, starb ein Mann nach einem Stromschlag, ein weiterer wurde leblos in seiner Wohnung aufgefunden.

Luigi Brugnaro, der Bürgermeister Venedigs, rief am Mittwoch für die Stadt den Notstand aus. In der Basilika San Marco soll das Wasser siebzig Zentimeter hoch gestanden haben, zum sechsten Mal in den vergangenen 1200 Jahren, aber zum vierten Mal in den vergangenen zwanzig Jahren. In der Krypta steht nach wie vor das Wasser. Im Erdgeschoss des Museums Ca' Pesaro kam es zu einem Brand, der offenbar durch einen Kurzschluss ausgelöst wurde. Der Eingangsbereich des Theaters La Fenice wurde überspült.

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Das Wasser in der Lagunenstadt ist so hoch gestiegen wie seit 1966 nicht mehr, ein Mensch kam bereits ums Leben. Der Bürgermeister spricht von einer Katastrophe - und ruft den Notstand aus.

Das Telefonfestnetz ist zumindest zum Teil außer Funktion. Drei Wasserbusse und etliche Boote wurden aufs Ufer gespült, ein Wasserbus sank, etliche Haltestellen sind beschädigt. Der öffentliche Nahverkehr ist eingestellt, Schulen und Kindergärten bleiben geschlossen. Die Via Garibaldi, eine eigentlich eher hoch gelegene Einkaufsstraße im Sestiere Castello, verwandelte sich in einen reißenden Fluss. Und die Stege, auf denen Fußgänger bei gewöhnlichem Hochwasser noch die Stadt durchqueren können, standen selbst unter Wasser. Der Bürgermeister sprach von "unermesslichen Schäden", die der Stadt zugefügt worden seien. Ersten, unzuverlässigen Schätzungen zufolge sollen sich die Kosten für die Reparatur der Wasserschäden auf mehrere Hundert Millionen Euro belaufen.

Noch ist man in Venedig damit beschäftigt, Sandsäcke zu stapeln und die Wege wieder passierbar zu machen. Die Frage nach dem Weiterbau des hydraulischen Damms vor der Lagune wird indessen schon mit neuer Dringlichkeit gestellt. Im Oktober 1994 beschlossen, im Mai 2003 begonnen, soll er Venedig vor den schlimmsten Überschwemmungen schützen. Eigentlich hätte er spätestens im Jahr 2016 funktionsfähig sein sollen. Doch nach einem größeren Korruptionsskandal und etlichen zeitlichen Verschiebungen, technischer Probleme halber, ist die Inbetriebnahme nun erst für Dezember 2021 angekündigt. Das jüngste Hochwasser, erklärte Bürgermeister Brugnaro im Angesicht der überschwemmten Piazza San Marco, verdeutliche noch einmal die Notwendigkeit des Damms. Ob der Bau solche Erwartungen je erfüllen wird, ist indessen nicht gewiss. Denn es gibt unter Bauingenieuren und Strömungstechnikern erhebliche Zweifel an seiner Effektivität, einer Investition von etwa sieben Milliarden Euro zum Trotz.

Die Wetterlage soll für Venedig auch während der kommenden Tage bedrohlich bleiben. Für den kommenden Sonntag sind derzeit Pegelstände von mindestens 140 Zentimeter angekündigt.

© SZ vom 14.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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