Hamburg:Wasser für alle

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Vom Fußballer zum Weltverbesserer: Benjamin Adrion, ehemaliger Mittelfeldspieler des FC St. Pauli, gründete die Initiative "Viva con Agua". Wer sein Mineralwasser kauft, spendet Geld.

Von Peter Burghardt

Natürlich stehen an der Quelle dieser Erfolgsgeschichte Mineralwasserflaschen auf dem Tisch. "Viva con Agua", steht auf Spanisch darauf, "lebe mit Wasser". So heißt dieses norddeutsche Phänomen, das in zehn Jahren aus einem kleinen Büro in St. Pauli zur globalen Bewegung gewachsen ist. Das blaue Logo auf weißem Etikett zeigt eine tropfenförmig verzerrte Erde. Wer genauer hinsieht, liest den geschwungenen Schriftzug daneben: "Diese Flasche löscht nicht nur Deinen eigenen Durst. Viva con Agua unterstützt weltweit Wasserprojekte der Welthungerhilfe. Für eine Welt ohne Durst!"

Mehr als 13 Millionen dieser Flaschen wurden 2015 verkauft, der Erlös und Spenden finanzieren sauberes Trinkwasser für ungefähr 1,8 Millionen Menschen in fernen Ländern. Immer mehr Wohlstandsbürger in Hamburg, Berlin oder München trinken die Varianten "laut" oder "leise", mit oder ohne Kohlensäure. Wasser als Szenegetränk? "Wasser interessiert normalerweise kein Schwein", sagt Benjamin Adrion, der Gründer von "Viva con Agua". Auf dem rauschfreudigen Kiez riefen Kneipiers mal zur Aktion "Saufen für St. Pauli" auf und kassierten pro Bier 50 Cent extra für den damals klammen FC St. Pauli. Das Interesse an der Marke "Viva con Agua" steigt dennoch mit jedem Schluck, wobei die Hintergründe vielleicht nicht jedem Hipster am Tresen präsent sind.

Ohne Wasser kein Leben, doch immerhin an diesem Engpass der Zivilisation ist Hoffnung in Sicht. Die Zahl derjenigen, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, hat sich laut den Vereinten Nationen halbiert, auf immer noch gigantische 663 Millionen Menschen. "Wir haben mitgewirkt, yeah", sagt Adrion, auf dem Kopf eine Wollmütze. Er ist vom unauffälligen Fußballspieler zum global denkenden Wassermacher geworden.

Wahrscheinlich konnte das nirgends besser funktionieren als hier auf St. Pauli. Die winzige Zentrale von "Viva con Agua" wirkt wie eine WG mit Trennwänden, gegenüber liegt das Heiligengeistfeld mit dem Stadion des FC St. Pauli. Dort hat Benjamin Adrion, heute 34 Jahre alt, gespielt. Dort ging es los. 2005 fuhren sie als erste Profimannschaft ins Trainingslager nach Kuba, es war der Höhepunkt einer Marketingkampagne gegen die Drittklassigkeit, mit Fidel-Kappe, Che-Fahnen und dem Slogan "Viva St. Pauli". Wieder daheim, ließ Adrion bald seine Karriere ausklingen und kam auf die Idee, die Verbindungen des linken und solidarischen Herzensklubs für soziale Zwecke zu nützen. Er stieß auf die Welthungerhilfe und deren Wasserprojekte in kubanischen Kindergärten, das war der Start. "Viva con Agua" wurde sein Beweis, "dass dieser Verein wirklich anders tickt".

Egal ob es beim Trinken prickelt oder nicht: je nach Verkaufspreis gehen sieben bis 17 Cent pro Flasche an ein Trinkwasserprojekt der Welthungerhilfe. (Foto: Jens Kalaene/dpa)

Für sein Projekt bekam Adrion das Bundesverdienstkreuz - auf St. Pauli wirkt das surreal

Der FC St. Pauli ist wie gehabt die Plattform, seinen Totenkopf kennt ja zumindest in Deutschland fast jedes Kind. Beim ersten Besuch der Wasseranlagen auf der revolutionären Zuckerinsel flog ein Reporter der taz namens Oke Göttlich mit, heute ist der alternative Musikmanager Göttlich der Präsident des Zweitligisten. Bald zog "Viva con Agua" nach Asien und Afrika, wo die Wasserverhältnisse noch wesentlich prekärer sind. Der Totenkopf auf der Klub-Fahne ist mancherorts erklärungsbedürftig. "In Kampala brauchst du die Flagge nicht ohne Kommentar aufhängen", sagt Benjamin Adrion. Im Zweifel könnten Uneingeweihte eher an den Schlächter Idi Amin und seine Opfer denken als an Hanseaten mit Piratenflagge.

Das selbstlose Konzept zieht. "Viva con Agua" wurde Kult. Mittlerweile werben Prominente für das Wasser, unter ihnen die Band Fettes Brot. Dennoch standen die Betreiber anfangs immer wieder vor der Frage, ob sie sich eine Aufwandsentschädigung für ihren Fulltime-Job gönnen - oder ob sie pleite gehen. Der Schwabe Benjamin Adrion, Sohn des früheren U21-Nationaltrainers Rainer Adrion, begann mit Arbeitslosengeld und Gründungszuschüssen. Dann fand er 2009 eine Nachricht auf seiner Mailbox. Das Bundespräsidialamt würde ihm gerne das Bundesverdienstkreuz überreichen: "Nehmen Sie's an?" Adrion nahm es im Namen von "Viva con Agua" von Horst Köhler entgegen. Obwohl er erst 28 war und keine 40, gewöhnlich das Mindestalter für diese Ehrung. Obwohl ein Bundesverdienstkreuz auf St. Pauli surreal daher kam. "Wir sind Bundesverdienstkreuz, geil", Adrion nimmt es mit Stolz und Humor. "Für uns Hippietruppe ist das positiv."

Die Trophäe hängt zwischen anderen Preisen, zuletzt gab es den "Next Economy Award". Finanziell geht es mittlerweile auch besser. Seit 2006 hat "Viva con Agua" knapp 4,5 Millionen Euro für die Wasserversorgung mit der Welthungerhilfe weitergeleitet, unter anderem nach Äthiopien, Uganda, Indien und Nepal. Es gibt die Viva con Agua Wasser GmbH, die 60 Prozent ihrer Gewinne gemeinnützig verwendet (pro Flasche fünf bis 17 Cent) und den Rest zinslos an Investoren zurückgibt. Und es gibt den Verein "Viva con Agua". Im Einsatz sind mehr als 10 000 Unterstützer in 55 deutschen Städten und mehreren Ländern.

Trinkt für einen guten Zweck: Benjamin Adrion. (Foto: Achim Multhaupt/laif)

Benjamin Adrion war kürzlich in Nepal und reist bald wieder nach Äthiopien und Uganda, wo sich unterdessen lokale Teams engagieren. Die meisten Helfer sind jung, denn Adrion hat in diesem Jahrzehnt unter anderem gelernt: "Klassische Organisationen wenden sich an Leute um die 70, da ist das Geld. In Uganda sind aber 80 Prozent der Einwohner unter 30. Die Zukunft liegt in deren Händen." Es geht ihm um Wasser und um Netzwerke, "soziales Engagement mit gutem Gefühl verbinden, nicht immer mit so schlechtem Gewissen". Zu "Viva con Agua" gehören Kunst, Musik, Festivals. Zum Reglement zählen Grundsätze wie diese: kein abgefülltes Wasser in Gegenden verkaufen, wo kein sauberes Leitungswasser fließt - weil die Einheimischen sich die Flaschen nicht leisten können. Keine Plastikflaschen, wo nicht recycelt wird. Keine Werbegeschenke. Wer auf der Website "Freiware" anklickt, landet bei den Spenden.

Bis 2030 soll gemäß der UN jeder Mensch sauberes Wasser trinken können. "Dann gibt's 'ne Party", verspricht Benjamin Adrion - womöglich in der Loge von "Viva con Agua" im Stadion des FC St. Pauli? Auflösen würde sich "Viva con Agua" in diesem erfreulichen Fall nicht. Schon werden weitere Initiativen erprobt. Das nächste Solidarprodukt von "Viva con Agua" ist seit Januar bei einer Drogeriekette erhältlich, der Erlös kommt der Hygiene in der Ferne zugute: Klopapier. Es heißt "Goldeimer", und es diene für Groß und Klein.

© SZ vom 09.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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