Haftung bei Glatteisunfällen auf Bahnhöfen:Eis am Gleis

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Wer ist in der Pflicht, wenn ein Fahrgast im Winter auf dem Weg zum Zug ausrutscht? Die Bahn natürlich, möchte man meinen, doch seit der Strukturreform ist unklar, welche Bahn-Gesellschaft haftet. Nun verhandelt der Bundesgerichtshof über die Frage - seine Entscheidung könnte die Durchsetzung von Haftungsansprüchen künftig erschweren.

Wolfgang Janisch

Das Ritual wiederholt sich jeden Winter: Sobald das Thermometer die Null-Grad-Marke erreicht, schicken Verbände und Anwaltskanzleien ihre Rechtstipps zur Streupflicht raus. Zwischen morgens um sieben und abends um acht Uhr muss der Gehweg geräumt werden, so ist es in vielen Städten geregelt. Und zwar durch den Hauseigentümer oder - wenn es im Mietvertrag steht - durch den Mieter.

Die Justiz verteilt die Schuld an Glatteisunfällen auf Bahnsteigen und Bahnsteigzugängen nicht einseitig - auch der Fußgänger muss sich vorsehen und mit entsprechendem Schuhwerk vorsorgen. (Foto: dpa/dpaweb)

Schneit es ununterbrochen, darf man das Schippen wegen Sinnlosigkeit einstellen, hört es wieder auf, dann gewährt beispielsweise das Oberlandesgericht Celle eine "angemessene Beobachtungs- und Vorbereitungszeit" von einer Stunde, bevor man wieder ran muss. Gefrierender Sprühregen, das wiederum meint das Kammergericht Berlin, kann indes einen Dauereinsatz des - so reden Juristen halt - "Streupflichtigen" notwendig machen.

Welche Bahn haftet?

Streupflichtig ist ohne Zweifel auch die Bahn auf ihren Bahnhöfen, doch die juristische Durchwirkung des Winterdienstes hat ausgerechnet hier eine Frage offengelassen, über die der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe an diesem Dienstag verhandelt: Wer haftet eigentlich, wenn der Kunde auf dem Weg zum ICE auf dem eisglatten Bahnsteig ausrutscht und sich das Handgelenk bricht?

Die Bahn natürlich, ist doch klar, möchte man antworten. Was freilich den Blick auf eine Struktur lenkt, die mit der Reform der neunziger Jahre unübersichtlich geworden ist. Welche Bahn haftet? Die DB Fernverkehr AG, bei der man das Ticket gelöst hat? Oder doch die DB Station&Service AG, der die Instandhaltung der Bahnhöfe obliegt? Oder beide?

Nun könnte dem gestürzten Kunden auch dies egal sein, Hauptsache, es zahlt einer - solvent sind sie ja beide. Allerdings verbirgt sich dahinter eine rechtliche, nun ja, Weichenstellung, an der sich im Extremfall das Schicksal der Haftung entscheiden kann.

Gehört die Streupflicht zur Beförderungsleistung - hat man also mit dem Bahnticket auch einen Anspruch auf rutschfreie Wege zum Zug erworben -, dann hat der Bahnkunde einen vertraglichen Anspruch. Konsequenz: Die Bahn kommt da nicht raus, auch nicht, indem sie auf den beauftragten und ausgerechnet diesmal schlampigen Reinigungsunternehmer verweist. So sah es der BGH noch 1981, aber da gab es noch die Bundesbahn.

Die Trennung der Geschäftsfelder könnte indes zur Folge haben, dass die für den Kunden günstigere vertragliche Haftung nicht mehr greift. So jedenfalls sieht es die Bahn-Anwältin Gunhild Schäfer - schon deshalb, weil die Fernverkehrssparte mit der Bahnsteigsicherung nun mal nichts zu tun habe. Dann bleibt dem Kunden zwar immer noch der Anspruch wegen Verletzung der "Verkehrssicherungspflicht". Weil die Bahn hier jedoch nur für die umsichtige Auswahl und Überwachung ihres Subunternehmers einstehen muss, könnte sie sich leichter herauswinden.

Nicht anders als ein Hauseigentümer, der seine zehn Meter Bürgersteig von einer Rund-ums-Haus-Firma räumen lässt. Stürzt dort ein Fußgänger und klagt, dann wird er sich verteidigen: War immer zuverlässig! Nie Probleme gehabt! Dann kann sich der Betroffene womöglich nur noch an die Reinigungsfirma halten - falls die nicht gerade insolvent ist.

Allerdings ist es nicht so, dass die Justiz die Schuld an Glatteisunfällen einseitig verteilt. Wenn es schneit und gefriert, dann muss der Fußgänger sich vorsehen, sonst lastet man ihm eine Mitschuld an. Die Gerichte raten: geeignetes Schuhwerk anlegen.

© SZ vom 17.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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