Gefängnis:Die Debatten über den Strafvollzug sind verstummt

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Bundespräsident Gustav Heinemann sprach vom "Staatsbürger hinter Gittern". (Foto: picture alliance / dpa)

Wie ein guter Strafvollzug aussehen könnte, das war einmal ein großes Thema in Deutschland. Heute ist die Diskussion darüber zerstückelt und damit minimalisiert.

Kommentar von Heribert Prantl

Strafvollzug war und ist der Versuch, an Menschen, die man kaum kennt, unter Verhältnissen, die man wenig beherrscht, Strafen zu vollstrecken, um deren Wirkung man nicht viel weiß. Wie ein guter Strafvollzug aussehen könnte, das war einmal ein großes Thema in Deutschland.

An den Universitäten gab es vor Jahrzehnten "Knastfeste", die auf Missstände in den Gefängnissen aufmerksam machen wollten. Der Geist der 68er-Jahre rüttelte an den Gittern, oft und gern wurde von den "Unterprivilegierten" gesprochen und über die fehlende Kommunikation "von draußen nach drinnen".

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Der Bundespräsident Gustav Heinemann sprach vom "Staatsbürger hinter Gittern". Und in dem Reformgesetz, das vor 40 Jahren in Kraft trat, stehen höchst anspruchsvolle Sätze, zum Beispiel: "Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen". Lachhaft? Nein, aber es ist schwer, wenn im Gefängnis "aus demotivierenden Umständen sozialkonstruktives Verhalten entstehen soll", wie es der Kriminologe Heinz Müller-Dietz formuliert hat.

Die letzte Reform hat die gesellschaftliche Debatte gekillt

Die Debatte darüber, wie die Zustände in der Haft motivierender werden könnten, sind fast verstummt. Das liegt nicht an der Höhe der Gefängnismauern. Gewiss: Mauern verhindern nicht nur den Ausbruch der Gefangenen, sondern auch den Einblick der Öffentlichkeit. Aber das war immer so.

Geändert hat sich vor elf Jahren, dass für den Strafvollzug nicht mehr der Bund, sondern die Länder zuständig sind. Das hat die Föderalismusreform, gegen den Protest der gesamten Fachwelt, im Jahr 2006 verfügt. Die Bundesländer haben sodann ihre jeweils eigenen Strafvollzugsgesetze geschrieben, und die sind gar nicht so schlecht geworden, wie das damals befürchtet worden war. Der Wettlauf der Schäbigkeit, von vielen Wissenschaftlern vorhergesagt, hat nicht stattgefunden.

Aber: Es gibt seit der Föderalismusreform einen Quantitätsverlust und einen Qualitätsverlust in der öffentlichen Diskussion über den Reformbedarf im Strafvollzug. Es fehlen Diskussionsanstöße, weil das nationale Forum fehlt, wenn Bundestag und Bundesrat für dieses Thema nicht mehr zuständig sind. Es fehlen Diskussionsanstöße, wenn der Bundesjustizminister sich zum Strafvollzug nicht mehr zu Wort meldet - und der Bundespräsident auch nicht.

Die Debatte über den Strafvollzug ist leider zerstückelt und damit minimalisiert, sie findet und fand zwar noch in den einzelnen Ländern statt, aber sie findet nicht mehr zusammen. Die Föderalismusreform hat damit etwas Schlimmes angerichtet: Sie hat die Wissenschaft vom Strafvollzug marginalisiert - und sie hat die gesellschaftliche Debatte über den Strafvollzug gekillt. Der Titel einer Schrift über den Strafvollzug und seine Probleme aus dem Jahr 2005 heißt, nach dem Motto von Bert Brecht aus der Dreigroschenoper: "Die im Dunkeln sieht man nicht". Man sieht sie heute noch weniger als damals.

© SZ vom 16.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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