Flugzeugabsturz in San Francisco:Pilot hatte nur 43 Stunden Flugerfahrung mit Boeing 777

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Amateuraufnahmen zeigen die dramatische Bruchlandung der Boeing 777 in San Francisco. Die Suche nach der Unfallursache bringt erste Hinweise. Bereits seit Juni ist ein Instrument am Boden außer Betrieb - der Gleitweganzeiger. Außerdem war der Pilot noch im Übergangstraining mit dem Flugzeugtyp.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es war sonnig an diesem Samstagmorgen in San Francisco, die Sicht war klar, es wehte nur ein ganz leichter Wind. Perfekte Bedingungen also, um ein Flugzeug auf dem San Francisco International Airport zu landen. Und doch: Eine Boeing 777 der Asiana Airlines mit 307 Menschen an Bord verunglückte um 11:28 Uhr beim Versuch, auf der Landebahn 28L aufzusetzen. Auf einem Amateur-Video ist deutlich zu sehen, wie sich die Nase des Flugzeugs beim Landeanflug etwas zu steil nach oben neigt und wie die Maschine nach dem Aufprall durch die Luft wirbelt.

Zwei junge Frauen starben, 182 Menschen wurden schwer verletzt, mehr als zehn schweben noch in Lebensgefahr. Die Suche nach einer Erklärung für den Absturz hat begonnen. Nun ist bekannt geworden, dass sich der Pilot Lee Kang Kuk für Flüge mit der Boeing 777 noch im Übergangstraining befand. Er habe noch nie zuvor eine Maschine des verunglückten Typs auf dem Flughafen von San Francisco gelandet, sagte eine Sprecherin des südkoreanischen Verkehrsministerium in Sejong.

Der 46-Jährige, der insgesamt 10.000 Flugstunden absoviert hat, habe eine solche Maschine neunmal gelandet und 43 Flugstunden mit diesem Flugzeugtyp hinter sich gehabt. Der Flug nach San Francisco sei für Piloten im Training nicht ungewöhnlich. Außerdem habe er einen erfahrenen Ausbilder zur Seite gehabt. Einen Pilotenfehler schließen die amerikanischen und südkoreanischen Behörden bisher aus. Die Ermittler folgen einem anderen Hinweis: ein Instrument am Boden war außer Betrieb. "Der Gleitweganzeiger wurde bereits seit Juni nicht mehr verwendet", sagt Deborah Hersman, Leiterin des National Transportation Safety Board: "Wir werden uns das genauer ansehen. Es ist aber wichtig zu wissen, dass ein Pilot mehrere Instrumente verwenden kann."

Mit einem Gleitweganzeiger kann der Kapitän beim Anflug die Höhe des Flugzeuges erkennen - mehrere Webseiten wie Flightaware.com, die sich auf die Routen von Flugzeugen spezialisieren, haben bereits berichtet, dass die Asiana-Maschine auffällig steil an die Landebahn herangeflogen sei. Auch Augenzeugen berichteten von einem ungewöhnlichen Anflug. Benjamin Levy saß in der Unglücksmaschine auf Platz 30K, er berichtete: "Vielleicht waren wir zu früh zu tief."

Hersman warnte davor, voreilige Schlüsse zu ziehen, zumal es nicht ungewöhnlich sei, dieses Instrument bei guten Wetterbedingungen abzuschalten. Es sei deshalb unklar, ob der defekte Gleitweganzeiger verantwortlich sei für das Unglück: "Wir müssen nun überprüfen, welche Instrumente die Piloten beim Anflug verwendet haben." Dafür wurden der Flugdatenschreiber und die Kommunikations-Instrumente nach Washington geflogen und ausgewertet. "Beide sehen gut aus", sagte Hersman.

Pilot wollte noch durchstarten

Ersten Erkenntnissen zufolge sei die Maschine auch deutlich zu langsam auf die Landebahn zugesteuert. Die Piloten hätten den Landeanflug daher noch abbrechen wollen, sagte Hersman. Um die genaue Geschwindigkeit der Unglücksmaschine beim Landeanflug zu ermitteln, müssten die Daten der beiden Flugschreiber noch mit den Radaraufzeichnungen und anderen Luftfahrtdaten abgeglichen werden. Fest stehe allerdings, dass das Tempo der Boeing 777 "signifikant" unterhalb der Richtgeschwindigkeit gelegen habe.

Der Stimmenrekorder und der Flugdatenschreiber lieferten laut Hersman Aufzeichnungen in guter Qualität, so dass die NTSB-Prüfer in Washington einen vorläufigen Bericht des Unfallhergangs erstellt hätten. Da das Flugzeug der Fluggesellschaft Asiana Airlines zu langsam gewesen sei, sei ein Warnsignal ausgelöst worden. Einer der Piloten habe sich daraufhin anderthalb Sekunden vor dem Aufprall dafür ausgesprochen, doch nicht zu landen und die Asiana-Maschine wieder in die Luft zu bringen. Bereits sieben Sekunden vor dem Unglück hatte einer der Piloten bereits um Erlaubnis gebeten, wieder zu beschleunigen.

Chesley Sullenberger, der im Januar 2009 ein Flugzeug auf dem Hudson River von New York zu Wasser gebracht und alle 155 Passagiere an Bord gerettet hatte, sagt über den Gleitweganzeiger: "Die automatische Warnung im Cockpit, wenn sich das Flugzeug unterhalb der elektronisch berechneten Route befindet, wäre in diesem Fall nicht möglich gewesen. Wir wissen allerdings nicht, ob das in diesem speziellen Fall eine Rolle gespielt hat. Aber die Ermittler werden sich das in jedem Fall genauer ansehen."

Die Ermittler haben mittlerweile auch eine Theorie über den Unfallhergang: Die Maschine könnte beim Anflug eine Ufermauer berührt haben, die den Flughafen von der Bucht in San Francisco trennt. Dabei könnten die Reifen abgehackt worden sein, weshalb die Piloten nicht mehr in der Lage gewesen sein könnten, das Flugzeug sicher zu landen. Beim zweiten Aufprall könnte das Heck abgebrochen sein. Diese Theorie wird derzeit von mehreren Medien verbreitet, am Flughafen von San Francisco wollte sich niemand offiziell dazu äußern - es gab indes auch keinen Widerspruch.

Am Flughafen von San Francisco wird derzeit heftig gebaut, um neue Landebahnen zu schaffen oder bestehende Bahnen erweitern zu können - vor allem aber, um den Landepunkt der Flugzeuge weiter von den Ufermauern zu entfernen. Also um genau das zu verhindern, was am Samstagmorgen passiert sein könnte. Laut Sullenberger könnten diese Bauarbeiten für das Unglück verantwortlich sein. Ohnehin gelte der Flughafen in San Francisco als knifflig für Landungen: "Er ist von Wasser umgeben, weshalb es schwierig sein kann, die Höhe einzuschätzen. Es gibt wechselnde Winde, schwierige Sichtverhältnisse, hinter dem Flughafen gibt es Hügel. All diese Dinge machen eine Landung auf diesem Flughafen speziell."

Kopilot hatte erst 43 Flugstunden mit der Boeing 777

Yoon Young-doo, Chef der Asiana Airlines sagte während einer Pressekonferenz: "Es könnte sehr lange dauern, bis die Untersuchungen abgeschlossen sind. Ich möchte mich für den Unfall entschuldigen, bei den Passagieren an Bord und bei ihren Familien", sagte Yoon bei einer Pressekonferenz in Seoul. Man könne bereits ausschließen, dass ein Triebwerkschaden für das Unglück verantwortlich sei.

Auch das Flugzeug, eine Boeing 777, gilt als äußerst sicheres Flugzeug. Beim letzten Zwischenfall im Januar 2008 kam eine Maschine von British Airways etwa 300 Meter vor der Landebahn auf dem Boden auf, wobei das Räderwerk abbrach. Damals gab es einige Verletzte und keine Toten. Die Ermittler in San Francisco gaben an, dass die Stabilität des Flugzeuges und die Möglichkeit der schnellen Evakuierung dafür verantwortlich gewesen sein könnte, dass am Samstag nicht noch mehr Menschen zu Schaden kamen.

Es war dennoch ein gruseliger Anblick, das Flugzeug neben der Landebahn zu sehen. Die beiden getöteten Frauen saßen offensichtlich im hinteren Bereich des Flugzeuges. Ye Meng Yuan und Wang Lin Jia, beide 16 Jahre alt, stammen aus Jiangshan in der ostchinesischen Provinz Zhejiang. Eine der beiden wurde offensichtlich beim zweiten Aufprall aus der Maschine geschleudert, ihre Leiche wurde in der Nähe des abgebrochenen Hecks gefunden. Die andere lag leblos zehn Meter neben dem linken Flügel der Maschine. Es wird auch darüber spukuliert, ob eines der beiden Mädchen nicht erst später von einem Feuerwehrfahrzeug überrollt wurde.

Ergänzt mit Material von AFP

© Süddeutsche.de/AFP - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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