Ex-Fußballprofi Paul Gascoigne:"Gazza braucht dringend Hilfe"

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Paul Gascoigne schien auf einem guten Weg zu sein, hier bei einem Spiel von Lazio Rom gegen Tottenham Hotspur im November 2012. Inzwischen soll der frühere Fußballstar vor dem Zusammenbruch stehen. (Foto: dpa)

Paul "Gazza" Gascoigne war einmal Englands größtes Fußballtalent, aber leider auch einer der größten Säufer des Landes. Nun hatte er einen Rückfall. Es ist ein Trauerspiel.

Von Christian Zaschke, London

Wenn er nicht vergangene Woche vor Fans in Northampton aufgetreten wäre, hätte es womöglich keiner gemerkt. Dann hätte er sich vielleicht in seiner Wohnung in Bournemouth unbemerkt zu Tode getrunken. Doch seit er in Northampton zitternd auf einer Bühne saß und unvermittelt zu schluchzen begann, verbreitete sich die Kunde rasch im ganzen Land: Paul Gascoigne hat einen schweren Rückfall. Er säuft wieder.

Gascoigne ist 45 Jahre alt. Er war Großbritanniens talentiertester Fußballer seit 1966, als England zum einzigen Mal Weltmeister wurde. Er reiste zu Welt- und Europameisterschaften, er verdiente Millionen, doch da er zugleich soff und Tabletten schluckte, da er sich abseits des Platzes zum Experten für Komasaufen, Rauschtrinken und Druckbetankungen entwickelte, sieht er jetzt aus wie ein kranker Mann Mitte 50. Am Wochenende schoss ein Paparazzo des Boulevard-Blatts The Sun ein Foto von Gascoigne, auf dem der frühere Profisportler, dieser Ausbund an Kraft, Irrsinn und Lebensfreude, wie ein Geist erscheint, ein Todgeweihter mit leerem Blick.

Mehrere Weggefährten melden sich jetzt zu Wort. Gary Lineker, mit dem Gascoigne bei der WM 1990 zusammenspielte, teilt im Internet mit, er hoffe, dass Gascoigne Frieden finde, aber vielleicht sei diese Hoffnung vergebens.

Der dänische Torwart Peter Schmeichel, der lange bei Manchester United spielte, fordert, ebenfalls im Internet, die britische Spielergewerkschaft müsse jetzt etwas tun.

Alan Shearer, der wie Gascoigne zu den Legenden von Newcastle United gehört, sagt, er hat Angst davor, dass bald das Telefon klingelt und jemand dran ist, der ihm sagt: Gazza ist tot. Fast niemand nennt Paul Gascoigne bei seinem richtigen Namen. Er ist Gazza.

Während die Kollegen von damals am Wochenende mit dem Fernsehen sprachen oder Textbotschaften versandten, trank Paul Gascoigne weiter. Am Sonntag stieg er in Bournemouth mit einer Dose Bier in ein Taxi und fuhr ziellos herum. Als die Dose leer war, warf er sie aus dem Fenster. Er ließ sich zurück nach Hause bringen, rief eine Stunde später ein weiteres Taxi, fuhr zum Einkaufen, ließ sich zurückbringen, betrat seinen Balkon, wo er eine Zigarette rauchte und in einem Blumentopf pinkelte.

Die Sun zitiert einen Nachbarn mit den Worten, Gazza sei ein betrunkener Zombie. Er bringe oft nachts um drei Uhr den Müll raus, und Müll heiße nicht selten: leere Flaschen. Vor den Augen der Öffentlichkeit vollzieht sich der scheinbar unaufhaltsame Abstieg eines einstigen Idols. Ganz offensichtlich braucht Gascoigne dringend Hilfe, aber es ist nicht sicher, ob die, die ihm helfen wollen, ihn noch erreichen. Eigentlich war Gascoigne ja trocken. Eigentlich hatte es so ausgesehen, als habe er seine Sucht in den Griff bekommen.

Zum Alkohol auch noch Valium

Im Oktober 2010, als er zum vierten Mal betrunken am Steuer eines Autos erwischt worden war, sagte ihm der Richter, entweder er gehe auf Entzug oder in den Knast. Vorangegangen war eine Zeit, in der Gascoigne, ausgestattet mit einer Dose Bier, einer Angel und einer Pappschachtel mit einem Hühnergericht und bekleidet mit einem Bademantel in ein Taxi gestiegen war, um, wie er sagte, seinen Kumpel Raoul Moat vor sich selbst zu schützen. Moat hatte gerade auf drei Menschen geschossen und einen getötet. Vorangegangen war eine Zeit, in der Gascoigne die Rezeption seines Hotels anrief, um ein Messer zu bestellen, weil er plane, sich umzubringen.

Gascoigne entschied sich für den Entzug, und seither lebt er in Bournemouth, einer Kleinstadt an der Südküste. Sechs Monate verbrachte er im örtlichen Reha-Zentrum, dann bezog er eine eigene Wohnung am Meer. Zunächst kümmerte sich das Rehazentrum weiter um ihn. Dann übernahm er allmählich selbst wieder die Kontrolle über sein Leben. Er war, so schien es, auf einem guten Weg.

Vor einigen Wochen starb dann ein enger Freund Gascoignes, mit dem er in der Entzugsklinik war. Es heißt, er habe dem Sterbenden die Hand gehalten. So zitieren mehrere Boulevardblätter Freunde Gascoignes. Seither habe er das Gleichgewicht verloren. Steve Wraith, der Gascoigne seit mehr als 20 Jahren kennt, sagte der Sun: "Es sieht aus, als habe er den Willen zu leben verloren. In so schlechtem Zustand habe ich ihn noch nie gesehen." Angeblich kombiniert Gascoigne den Alkohol mit großzügigen Dosen Valium.

Auch Gascoignes Agent Terry Baker hat sich mit einem Appell an die Öffentlichkeit gewandt. Er sagte "Er wird mir vielleicht nicht danken dafür, dass ich das sage, aber er braucht dringend Hilfe. Sein Leben ist in Gefahr." Die jüngsten Fotos von Gascoigne zeigen, dass das keine Übertreibung ist.

© SZ vom 05.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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