Großbritannien:Die Tragödie von Grays

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  • Die 39 toten Menschen in dem Lastwagen-Anhänger im englischen Grays waren Chinesen.
  • Der Laderaum war auf minus 25 Grad abgekühlt. Offenbar sind sie erfroren.
  • Eine Spur der Ermittler führt nach Belgien, eine andere nach Bulgarien.

Von Karoline Meta Beisel, Brüssel, und Alexander Mühlauer, London, Brüssel/London

Die Bilder von dem roten Lastwagen mit dem weißen Container, in dem 39 Tote entdeckt wurden, sind nur schwer zu ertragen. Am Tag nach dem grausamen Leichenfund nahe London herrschte in Großbritannien noch immer Fassungslosigkeit über das Verbrechen. Auch wenn noch viele Hintergründe unklar sind, gab es am Donnerstag zumindest ein paar Gewissheiten, um zu verstehen, wie das alles geschehen ist. So bestätigte die Polizei, dass die im Kühllaster entdeckten Toten aus China stammen. Medienberichten zufolge handelt sich um 31 Männer und acht Frauen. Sie sollen erfroren sein, der Laderaum sei auf bis zu minus 25 Grad abgekühlt gewesen. Eine offizielle Bestätigung der Todesursache gab es nicht.

Die Umstände der Tragödie deuten weiter darauf hin, dass es sich bei den Opfern um ins Land geschleuste Migranten handelt. Unklar ist allerdings, ob der wegen Mordverdachts festgenommene Lkw-Fahrer überhaupt wusste, dass Menschen in dem Anhänger waren. Für sein Unwissen spricht, dass er während der Fahrt Fotos von sich und dem Lkw bei Facebook teilte. Er nannte den Laster nicht ohne Stolz "Polar Express". Der 25-jährige Nordire wurde am Donnerstag weiter verhört. In Nordirland wurden drei Häuser durchsucht.

Nach bisherigem Ermittlungsstand fuhr der selbständige Lkw-Fahrer am Sonntag mit dem Laster nach Großbritannien - und zwar auf der Fähre von Dublin nach Holyhead. Von der walisischen Hafenstadt soll er dann nach Purfleet in England gefahren sein, wo er den Container abholte. Dieser kam wiederum aus Zeebrugge in Belgien. Der belgischen Bundesanwaltschaft zufolge ist die Fracht am Dienstag kurz vor 15 Uhr im dortigen Hafen angekommen. Noch am selben Tag hat sie Zeebrugge in Richtung Purfleet verlassen.

Dort wurde der Container kurz nach Mitternacht vom Schiff an Land verfrachtet und an die aus Irland kommende Sattelzugmaschine gekoppelt. Das Gespann hat den Hafen dann kurz nach 1 Uhr verlassen und ist weiter in einen Industriepark in Grays, etwa 40 Kilometer östlich von London, gefahren. Dort wurde die Polizei gegen 1.40 Uhr von Sanitätern über den Leichenfund informiert. Wer die Rettungskräfte alarmiert hatte, ist bislang nicht bekannt.

Schlepper verschiffen in Zeebrugge häufig menschliche Fracht nach England

Unklar ist, seit wann sich die Opfer in dem Container befanden. Die belgische Bundesanwaltschaft hat ein Verfahren gegen unbekannt eröffnet. "Die Ermittlungen konzentrieren sich auf die Organisatoren und alle anderen Personen, die an diesem Transport beteiligt waren", hieß es in einer Mitteilung. Laut dem Hafenchef von Zeebrugge, Joachim Coens, ist es unwahrscheinlich, dass sie dort in den Laderaum geklettert sind: "Ein Kühlcontainer kommt hier völlig versiegelt an. Während der Überprüfung wird dieses Siegel kontrolliert und das Nummernschild und der Fahrer werden ebenfalls mit Kameras überprüft." Schlepper benutzen den Hafen von Zeebrugge häufig, um menschliche Fracht nach England zu verschiffen. Zuletzt nahm die Polizei im September bei einem Großeinsatz sieben Menschen fest.

Eine weitere Spur der Ermittler führt nach Bulgarien. Dort wurde der Lkw im Jahr 2007 in Warna angemeldet, erklärte der bulgarische Ministerpräsident Bojko Borissow. Seitdem sei das Fahrzeug nicht mehr im Land gewesen. Nach Angaben eines bulgarischen Frachtverbandes ist dies aus Steuergründen durchaus üblich. Der Lkw ist auf den Namen einer Firma in Irland registriert.

Der Container soll laut Medienberichten am 15. Oktober für eine Woche zum Preis von 275 Euro von einer irischen Firma namens Global Trailer Rental Europe (GTR) an ein anderes Unternehmen vermietet worden sein. Die Times zitierte einen GTR-Sprecher mit den Worten, dass man "entsetzt darüber sei, wofür der Lkw benutzt wurde". Man habe die GPS-Daten des Containers an die Polizei übergeben.

Die britischen Behörden verschärften unterdessen die Überprüfungen von Lastwagen samt Containern. Am Mittwoch wurden bei einer Kontrolle auf der Autobahn nahe Kent neun Menschen entdeckt, die wohl nach Großbritannien geschleust wurden. Jedes Jahr werden Tausende Menschen illegal ins Vereinigte Königreich gebracht. Vor 19 Jahren entdeckte die Polizei 58 tote Chinesen in einem Lastwagen im Hafen von Dover. Die Menschen waren in dem Anhänger erstickt.

© SZ vom 25.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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