Erdbeben in Mexiko:"Die Treppen wackelten so stark, dass wir es kaum runter schafften"

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Erdbeben in Mexiko: Mitglieder der mexikanischen Marine gehen an einem teilweise zusammengestürzten Hotel in Matias Romero vorbei. (Foto: dpa)

Zwei Menschen erzählen, wie sie das schwerste Erdbeben in Mexiko seit 100 Jahren erlebt haben.

Von Franziska Pröll

50 Millionen Menschen spürten den heftigen Erdstoß vor der südlichen Pazifikküste Mexikos. Selbst im etwa 1000 Kilometer entfernten Mexiko-Stadt wurden Gebäude beschädigt. Präsident Enrique Peña Nieto ordnete das Beben mit einer Stärke von 8,2 als schwerstes seit 100 Jahren ein. Zwei Menschen - unterschiedlich weit vom Epizentrum entfernt - erzählen, wie sie sich fühlten und schützten.

Emma Calvo, 60, Rentnerin, lebt in Mexiko Stadt

"In der Nacht auf Freitag, um genau 23.49 Uhr, begann die Erde zu zittern. Ein stärkeres Beben habe ich bis jetzt nur einmal erlebt - am 19. September 1985, ich erinnere mich noch gut. Damals war das Epizentrum im Bundesstaat Guerrero. Diesmal sind Oaxaca, Chiapas und Tabasco am stärksten betroffen, Bundesstaaten, die weiter von Mexiko Stadt entfernt sind als Guerrero.

1985 gab es keinerlei Warnungen, das hat sich zum Glück inzwischen geändert. Wenn jetzt ein Beben einsetzt, das vermutlich stärker als Kategorie fünf sein wird, ist ein lauter, schriller Ton zu hören. Er weckt schlafende Menschen auf. Und er stimmt uns auf das ein, was kommen wird.

Als die Warnung ertönte, waren meine Töchter und ich sofort alarmiert. Wir rannten zur Treppe. Unsere Wohnung ist im zweiten Stock eines Hauses mit vier Etagen. Die Treppen wackelten so stark, dass wir es kaum runter schafften. Draußen auf der Straße standen viele Menschen - und es wurden immer mehr. Es war dunkel, denn der Strom war ausgefallen. Die Leute lagen einander in den Armen. Viele waren panisch, weil man in der Dunkelheit so wenig sehen konnte - und alles so sehr wackelte. Kinder weinten, ihre Mütter trösteten sie. Auch ein paar Erwachsene weinten. Alle waren überrascht und geschockt. Niemand von uns hatte erwartet, dass ein so starkes Erdbeben kommen würde.

Meine Töchter und ich standen draußen, bis das Beben nachgelassen hat. In dieser Nacht haben wir kein Auge zugetan. Es gab ständig Nachbeben - mehr als 60, haben sie im Fernsehen gesagt. Wir waren unruhig und wussten nicht, was noch passiert.

Emma Calvo (Foto: privat)

Ich bin in Acapulco, einer Stadt an der Küste des Bundesstaates Guerrero, geboren. Dort habe ich Freunde und Verwandte. Ich bin froh, dass es ihnen allen gut geht - obwohl sie das Beben stärker gespürt haben als wir.

Zum Glück ist in unserer Wohnung alles heil geblieben. Wir leben im Zentrum von Mexiko Stadt, in der Nähe des Monumento de la Independencia, einer bekannten Skulptur. Die Häuser dort sind aus stabilem Material. Daher ist in unserer Nachbarschaft nichts zerstört worden. Der Flughafen ist jedoch gesperrt, weil dort viele Fenster zerbrochen sind. Schulen und Universitäten blieben am Freitag geschlossen, Kindergärten und viele Bürogebäude auch. Der Zivilschutz überprüft, ob sie die Erschütterungen gut überstanden haben oder ob Reparaturen nötig sind. Wir bleiben jetzt erst einmal zu Hause. Und hoffen und beten, dass das Schlimmste überstanden ist."

José Luis Aguilera, 65, Pfarrer, lebt in Tuxtla Gutiérrez im Bundesstaat Chiapas

"Ich lag seit ein paar Minuten im Bett und war gerade kurz davor, einzuschlafen, als mein Bett plötzlich anfing, zu wackeln. Hier in Chiapas kommt es immer mal wieder vor, dass die Erde bebt. Doch gestern schüttelte es mein Bett - und überhaupt das gesamte Haus - so heftig, dass ich sofort aufsprang. Ich ging zum Zimmer meiner Mutter, klopfte an die Tür, betrat den Raum und half ihr aus dem Bett. Sie ist 88 Jahre alt. So schnell wir konnten, rannten wir die Treppen hinunter. In diesem Moment fiel der Strom aus. Alles war dunkel. Wir mussten aufpassen, wo wir hintreten.

Wir gingen zur Tür hinaus, in den Innenhof. Wie lange wir dort standen, kann ich gar nicht sagen, denn ich hatte keine Uhr und kein Telefon bei mir. Das Zeitgefühl habe ich völlig verloren. Um uns herum war es ziemlich laut, weil immer mehr aufgeregte Leute auf die Straße rannten. Weil wir mitbekamen, dass es Nachbeben geben soll, entschieden wir uns, draußen im Hof zu schlafen.

José Luis Aguilera (Foto: privat)

Im Zentrum der Stadt gibt es ein Alarmsystem, das eigentlich alle Bewohner mit einem schrillen Ton auf das Erdbeben aufmerksam machen soll. Unser Haus ist allerdings vier Kilometer vom Zentrum entfernt. Wir haben den Alarm nicht gehört.

Ein paar Bilder und Tassen sind zu Boden gefallen und kaputt gegangen, ansonsten ist unser Haus heil geblieben. Viele Häuser, Kirchen und Brücken sind beschädigt worden. Zum Glück nicht sehr schwer: Viel Putz ist abgebröckelt und einzelne Wände sind eingebrochen. Komplett eingestürzt sind nur sehr wenige Häuser. Solche aus Lehm, die nicht so stabil sind wie Häuser aus Stein. Wie viele Gebäude komplett zerstört sind, ist offiziell noch nicht bekannt. Die Polizei überprüft derzeit, wie groß die Schäden sind. Schulen sind vorerst geschlossen. Ich bin aber optimistisch, dass der Unterricht am Montag weitergehen kann.

Die Stimmung in meiner Umgebung ist ein bisschen angespannt. Wird es weitere Nachbeben geben? Wie stark werden sie sein? Das hält uns aber nicht davon ab, zur Normalität zurückzukehren. Auf der Straße vor meinem Haus sehe ich Leute, die zur Arbeit gehen - wie an jedem anderen Tag auch. Die meisten Läden haben geöffnet - alle, bei denen die Betreiber nicht mit Aufräumarbeiten beschäftigt sind. Das Beben war schon heftig, aber jetzt ist alles wieder wie immer. Das ist typisch mexikanisch. Wir sind manchmal ängstlich, aber wir sind nicht panisch. Wir bewahren uns auch in schwierigen Momenten einen gewissen Humor."

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