Demonstration "#Unteilbar":Berlin setzt ein Zeichen gegen Rechts

  • 40 000 Teilnehmer hatte das Bündnis "Unteilbar" bei der Polizei angekündigt, nun melden die Veranstalter 242 000.
  • Die Demonstranten mögen nicht in jedem Detail einig sein, Anti-Rassismus und Solidarität sind Losungen, auf die sich viele einigen können.
  • Der Grundton der Demonstration ist friedlich, man begegnet der Hetze nicht mit Gegenhetze, sondern mit guter Laune und Humor, mit Tanz und Musik.

Von Veronika Wulf, Berlin

Das Mädchen mit dem rosafarbenen Laufrad geht neben dem Punk mit der Antifa-Fahne, das alte Ehepaar mit Sonnenhut neben der Gruppe junger Leute mit Jutebeuteln. Es ist eine bunte Gruppe zusammengekommen am Samstagmittag auf dem Berliner Alexanderplatz. Luftballons und Papierflieger gleiten durch die Luft, im Hintergrund spielt Musik. Die Sonne scheint, ein Mann verkauft kühles Bier aus einem Einkaufstrolley und eine Frau stillt am Rande der Menge ihr Baby. Man könnte meinen, das sei ein Sommerfest irgendeiner linken Vereinigung, nur mit vielen Besuchern. Sehr vielen Besuchern.

40 000 Teilnehmer hatte das Bündnis "Unteilbar" bei der Polizei angekündigt. Es kamen 242 000 nach Angaben der Organisatoren. 242 000, die eine offene und freie Gesellschaft wollen und "für Solidarität statt Ausgrenzung" ein Zeichen setzen. Rund zehntausend Organisationen und Einzelpersonen hatten den Aufruf des Bündnisses "Unteilbar" unterschrieben, darunter bundesweite Organisationen wie Amnesty International, Paritätischer Wohlfahrtsverband, der Zentralrat der Muslime, lokale Gruppen wie die Flüchtlingsräte mehrerer Bundesländer sowie Prominente wie der Satiriker Jan Böhmermann, der Schauspieler Benno Fürmann und die Band Die Ärzte.

"Wir sind die Mehrheit!"

"Die Spalter, die Schreier, die Hetzer sind nicht die Mehrheit in unserem Land", ruft Stefan Körzell vom Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur Auftaktkundgebung auf dem Alexanderplatz von einer kleinen Bühne herunter. "Wir sind die Mehrheit!" Der Widerspruch bestehe immer noch zwischen Kapital und Arbeit und nicht zwischen Ausländern und Deutschen, Stadt und Land, Ost und West.

"Migration ist die Mutter aller Gesellschaften", sagt Farhad Dilmaghani, Vorsitzender des antirassistischen Vereins Deutschplus und ehemaliger Staatssekretär in der Berliner Senatsverwaltung, ins Mikrofon und spielt damit auf Innenminister Horst Seehofers (CSU) Aussage an, die Migration sei die Mutter aller Probleme. "Wir haben immer wieder nur die hasserfüllten Stimmen gehört", sagt Dilmaghani. Aber seien all jene da, "die dafür sind, dass Solidarität ein unteilbares Recht für alle ist."

Anti-Rassismus und Solidarität sind Losungen, auf die sich viele einigen können. Es sind muslimische, jüdische und christliche Organisationen gekommen, linke, marxistische, humanistische, und feministische Vereinigungen. Der Deutsche Frauenrat fordert die Gleichberechtigung der Geschlechter, Amnesty International Deutschland die Einhaltung der Menschenrechte und Mitarbeiter von Ryanair einen Betriebsrat.

Nicht alle mögen sich in jedem Detail einig sein. In den Tagen vor der Demonstration hatte die Linken-Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht Diskussionen ausgelöst, weil sie sich und ihre Sammlungsbewegung von der Veranstaltung distanzierte. Der Grund: Sie sei nicht für offene Grenzen, eine Forderung die das Bündnis "Unteilbar" nie gestellt hatte. Doch am Samstag auf der Demo geht es nicht um Details. Es geht darum zu zeigen, dass man Flüchtlinge willkommen heißt, dass man eine plurale Gesellschaft will, in der keine Minderheit diskriminiert werden. Sobald ein Redner die AFD erwähnt, buht die Menge.

Als der Demonstrationszug sich in Bewegung setzt, gleicht er in manchen Teilen einem Straßenfestival, in anderen einem gemütlichen Samstagsspaziergang. Die meisten Teilnehmer unterhalten sich gemütlich, nur ab und zu ruft eine Gruppe: "Sagt es laut, sagt es klar: Wir sind alle unteilbar!" Manche fahren im Rollstuhl mit, viele haben ihre Kinder dabei.

Mit guter Laune und Humor, mit Tanz und Musik

"Ich will nicht, dass meine Kinder in einem intoleranten Land leben werden, in dem sie ihre Meinung nicht sagen dürfen," sagt eine rothaarige 44-Jährige, die einen Kinderwagen vor sich herschiebt. Das Aufstreben der AfD mache ihr Angst. Wenige Meter weiter vorne geht ein weißhaariger Mann in Funktionskleidung. "Ich bin dafür, dass die Leute, die Hilfe brauchen, auch Hilfe kriegen", sagt der 65-Jährige, der sein Fahrrad neben sich herschiebt. "Das rechte Gehetze muss aufhören."

Der Grundton der Demonstration ist friedlich, man begegnet der Hetze nicht mit Gegenhetze, sondern mit guter Laune und Humor, mit Tanz und Musik. Man feiert die Vielfalt. "Hass macht Hässlich" steht auf einem Schild, "Recht auf Bildung auch für Nazis", auf einem anderen und auf vielen Plakaten steht einfach nur "Liebe". Auf der Spree schippert ein Boot von dem die Bässe brummen, darauf ein Banner, das verkündet: "Hass ist krass, Liebe ist krasser."

"Wir müssen diesem Rechtsruck etwas entgegensetzen", sagt ein 21-jähriger Erzieher mit dunkler Haut und Dreadlocks, der sich als Felix vorstellt. Die roten Herzen auf dem Holzschild, das er hochhält, haben seine Kindergartenkinder draufgepinselt. Der Demonstrationszug überquert die Spreeinsel, eine 57-Jährige im elektronischen Rollstuhl fährt parallel dazu mit. "Muss ja", sagt sie und zeigt als Begründung, warum sie heute hier ist, auf ihren Rollstuhl. "Ich fahre so lang mit, bis der Akku leer ist."

An der Siegessäule, dem Großen Stern, endet der Demonstrationszug. Dort endet der Protest mit einem Konzert mehrerer Musiker, die so vielfältig sind wie die Besucher: von Konstantin Wecker und Herbert Grönemeyer bis hin zu Dirk von Lowtzow von Tocotronic mit Joy Denalane. Bei der Abschlusskundgebung verkündet Margarita Tsomou, Herausgeberin des Missy Magazins, die Teilnehmerzahl, sie spricht von der größten Demonstration gegen rechts, die Deutschland in der jüngsten Zeit erlebt habe. Die Menge jubelt. Und wird später noch einmal jubeln, als die Teilnehmerzahl noch einmal nach oben korrigiert wird. Jutta Weduwen, die für das Bündnis "Unteilbar" spricht, erinnert an ein Ereignis vor 80 Jahren: die Novemberpogrome von 1938. Nun sitze wieder eine Partei im Parlament, die gegen Zugewanderte, Flüchtlinge und Muslime hetzt. "Es war nicht immer sichtbar wie viele Menschen sich gegen Ausgrenzung einsetzen", sagt sie. Um das zu zeigen, sei man heute auf die Straße gegangen. "Und wir sind viele."

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