Das Geheimnis erfolgreichen Angelns:Durststrecke am Wasser

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Angeln - diszipliniertes Nichtstun. (Foto: Getty Images)

Die Zähigkeit beim Warten ist wichtiger als das Tragen von Wathose und Sonnenbrille: Ein Tag mit Angler-Guru Franz Anger, der seit fast 70 Jahren Fische aus dem Wasser zieht - und überhaupt keinen Grund sieht, dabei stundenlang zu schweigen.

Von Martin Wittmann

Der Fisch stinkt vom Kopf her, heißt es, aber wer weiß das schon genau. An der Fischtheke im Supermarkt sind die Geruchsquellen nicht mehr einzeln zu orten; Fischstäbchen sind bei genauerem Hinriechen von oben bis unten - sofern man sich überhaupt für eines der beiden Enden als Kopf entscheiden möchte - von verblüffender olfaktorischer Konstanz; und beim Steckerlfisch stinkt ja gar nix, da duftet das gegrillte Tier, als hätte es nicht sein Leben lang im Brackwasser hagere Wasserinsekten verschluckt und nebenbei den eigenen Lebensraum verkackt. Gesichert scheint nur zu sein, dass der Fisch weder vom Käsefuß noch von der Schweißachsel her riecht, rein anatomisch ist der Fisch wahrlich nicht zum Stinken prädestiniert.

Über solche Rätsel kann man für gewöhnlich wunderbar grübeln, wenn man am Bach sitzt und angelt. Weil das disziplinierte Nichtstun an der frischen Luft den Geist in die Wüste schickt. Herrlich, dieses meditative Harren im Freien, sagen nun Romantiker. Dieses Schweifen im inneren Universum, das Vogelgezwitscher, und direkt neben dem Köder baumelt die Seele. Einfach nur Ruhe, Hauptsache: keine Ablenkung.

Nicht, wenn man mit ihm zum Angeln geht: Franz Anger, der in manch asiatischem Land vielleicht wirklich "Angel" ausgesprochen würde, in seiner oberbayerischen Heimat Töging am Inn aber Anger Franz genannt wird und in manchem Mobiltelefon gar als Angerfranz abgespeichert ist. Etwas über 70 ist er, und praktisch so viele Jahre fischt er schon.

Seit jeher fährt er jeden Tag raus an die Isen oder an den Inn. Früher ist er sonntags immer zum Preisfischen gefahren, aber jetzt ist der Keller ja schon voll mit gewonnenen Angeln und anderen Preisen. Denn Anger Franz, Glaser von Beruf, fängt immer was, obwohl er am Wasser gerne und ausgiebig redet - wenn um das Fischefangen auch nur ein Hauch der versprochenen Spiritualität wabert, dann ist er der Guru. Deswegen steht man nun an seiner Seite: Sein Wissen ist bitter vonnöten.

"Deutschland ist eine Angelrepublik"

Denn genau genommen täte ein wenig Ablenkung beim Fischen zuweilen doch ganz gut. Wenn zum Beispiel endlich eines dieser elendigen Viecher mal anbeißen würde, das wäre eine durchaus willkommene Ruhestörung. Dann könnte man das Rätsel um den Gestank lösen, vor allem aber könnte man die Sinnfrage klären, warum man sich die stundenlange Warterei antut.

Aber darum geht es doch beim Fischen, sagen jetzt Burn-out-Therapierte: ums Abschalten. Das einsame wie analoge Angeln scheint für viele der perfekte Gegenentwurf zu sein zur Bürohölle, zum Internetzwang, zum Erreichbarkeitsterror unserer Zeit. Weg von der Arbeit und all dem Stress, raus aufs Land. Dass Angeln tatsächlich die entschleunigende Beschäftigung der Stunde ist, zeigte sich spätestens in den vergangenen Monaten, als erst beim Discounter Lidl, dann in der Normaloboutique Tchibo Angler-Sets im Massenangebot waren. Du gehst ans Wasser? Vergiss die Rute nicht! Oder wie es in der Anglerzeitschrift Blinker heißt: "Deutschland ist eine Angelrepublik. Die schönsten Gewässer, die größten Fische - wir finden sie direkt vor unserer Haustür."

800.000 Angler sind als Mitglieder beim Deutschen Angelfischerverband DAFV registriert, hinzu kommen mindestens noch mal so viele vereinslose und eine Menge Schwarzfischer. Der Hype ist nachvollziehbar: Fischefangen entspannt wirklich. Auch wahr ist: Nichtfangen verspannt gewaltig. Wer neu ist im Geschäft, aber schon ein erfahrener Verlierer, wer also erst vor Kurzem seinen Anglerschein gemacht, aber seither schon reichlich leere Eimer heimgetragen hat, wer, kurz gesagt, sein ganzes erstes Jahr als teuer geprüfter Fischer keinen einzigen Fisch gefangen hat, dem stinkt das neue Hobby bald. Denn irgendwann kommt der Morgen, an dem man mal wieder in aller Herrgottsfrühe aufbricht und nicht mehr wagt, sich zum Angeln zu verabschieden. "Sitzen und starren, stumm biertrinkend" wäre eine akkuratere Tätigkeitsbeschreibung.

Deswegen muss nun der Profi helfen. Schon der Beginn dieser Lehrstunde ist erstaunlich: Nicht wie erwartet im Morgengrauen trifft man sich an einem Feldweg an der Isen, sondern gemütlich am frühen Nachmittag. Zweite Lektion: Alles vergessen, was man über Angeln zu wissen glaubte. Anger trägt weder Wathose noch polarisierende Sonnenbrille (direkter Blick ins Wasser, heißt es in den Anglerforen), sondern ein normales dunkelblaues Karo-Hemd und Jeans. "Schmarrn", antwortet er auf die Frage nach der High-End-Ausrüstung, und die Antwort wird er noch sehr oft geben bis zum hereinbrechenden Abend. Nicht zu reden beim Angeln, ist nämlich auch ein Schmarrn. Viel schlimmer sei es, eine Autotür zuzuschlagen. Auch verboten: Schatten ins Wasser werfen sowie helle Hemden tragen.

Anger wirft nicht, sondern schwingt seine Rute aus, zwei Maiskörner hängen am Haken, und zwar im flachen Wasser, nicht weit weg vom Ufer. Den Haken elegant und kräftig so weit als möglich hinausschleudern? Schmarrn. Nun wartet er, bis die Tiere in den aromatischen Mais und den darin lauernden Widerhaken beißen.

Ist das sein Feind, der Fisch? Anger ist verdutzt ob der blöden Frage. "Nein, die machen mir doch Freude", sagt er.

Einst hat Anger tatsächlich wegen der Fische und nicht des Angelns wegen geangelt, "wir brauchten ja was zu essen". Als Kind hat er mit seinem Vater, einem Kriegsheimkehrer, der selbst im Einsatz in Frankreich geangelt hat, die alten Nägel vom Hufschmied von Haselnussstöcken runter ins Wasser hängen lassen. Auch mit der Gabel, gar mit der bloßen Hand will er die Fische gefangen haben. Wildforellen etwa, "aber die siehst du heute gar nicht mehr". Dafür gebe es heute Kormorane, und zwar erst, seit die Meere leergefischt seien. Früher habe es Tausende Nasen (Fischarten tragen oft sehr eigentümliche Namen) hier in der Gegend gegeben. Heute gibt es sie kaum mehr, wegen der Vögel, der neuen Brücken, des Düngers von den Maisfeldern.

Die Frage nach der Ethik

Vereine müssen laufend Fische einsetzen. "Wenn es keine Fischer gäbe, gäbe es schon längst keine Fische mehr." Die Fischereivereine seien es doch, die sich um Hege und Pflege der Bestände kümmerten. Die Kritiker, die "sogenannten Naturschützer", verstehe er nicht so recht, sagt Anger. "Heute bin ich für viele ein böser Mensch." Früher sei er als Fischer mehr geachtet worden. Als Kinder haben sie die Nasen auf dem Volksfest verkauft, eine Mark das Kilo. Wenn sie, vor dem Jäger noch, einen geschossenen Hasen gefunden haben, "dann haben wir den nicht verkommen lassen". War das nicht verboten? "Was war denn damals schon erlaubt", sagt er, den Blick weiter auf das langsam fließende Gewässer gerichtet, in dem sein Mais ruht.

Einfacher wäre es natürlich, man würde die Tiere anfüttern, also mit etwas Essbarem anlocken. "Aber das ist verboten", sagt er. Bei ihm geht es auch ohne Anfüttern. Bald darauf zuckt schon die Spitze seiner Rute. Ein Biss. Anger kurbelt das Tier aus dem Wasser, es ist ein sich windender Karpfen. "Willst du ihn haben?", fragt er. Der Gast mit dem leeren Eimer freut sich über den Fang. Anger packt das Tier am Rücken und drückt es ins Gras, und spätestens als er ausholt, den Fisch mit einem kräftigen Stockschlag auf den Kopf zu töten, drängt sich die ewige Frage nach der Ethik auf.

"No brain, no pain" - oder Neurochauvinismus?

Angler fühlen sich im Recht, auch im moralischen, das ist eine der Lektionen, die man im Pflichtkurs zur Fischerausbildung lernt (was man dort übrigens keineswegs lernt, ist das Fischen). Sie fischen heraus, was zu viel im Wasser ist, und setzen ein, was zu wenig dort schwimmt. Sie richten Laichschonbezirke ein und bauen Fischtreppen, sie kontrollieren die Wasserqualität. Kritiker sehen das anders: Wer einem Tier einen Widerhaken durch die Lippe jagt, um es zu töten und zu essen oder abscheulicher noch: es wie ein Spielzeug wieder zurückzuwerfen, der darf sich nicht Naturschützer nennen.

Auch ist immer noch umstritten, ob Fische überhaupt Schmerz empfinden können (SZ vom 17. September ). Die einen Forscher sagen, dem Tier fehlt es an der nötigen Großhirnrinde, "no brain, no pain". Andere nennen das Neurochauvinismus und verweisen auf fischeigene Nervenstrukturen und vor allem auf die evolutionäre Relevanz von Schmerz, auch bei Tieren.

Wieder andere, in diesem Fall Franz Anger, wollen und können diese philosophische wie wissenschaftliche Frage nicht beantworten. Lieber geben sie den Fischen schnell eins auf die Murmel, zur Sicherheit, auf dass selbst bei Schmerzempfinden das Leiden des Fisches recht kurz ist.

Hat er nie Mitleid mit den Tieren? Nein, sagt er, bevor er nach einer kurzen Pause zugibt: "Manchmal mit den Schleien. Weil die so schöne kleine Augen haben."

Welche Fischart ist für die Forellenregion typisch? a) Frauennerfling, b) Mühlkoppe (Groppe), c) Schleie. So steht es in der Prüfungsfrage, die einem bei der Nennung des Fisches in den Sinn kommt, man musste das Zeug ja im Frühjahr auswendig lernen (als Antwort hat man sich damals gemerkt: Das mit dem zweiten Fisch in Klammern ist die richtige Antwort). Eine Prüfung habe es nicht gegeben, als er das Angeln gelernt hat, erzählt Anger. Der verschulte Test sei doch Schikane, bei der man die Namen von Wasserpflanzen auswendig lernen müsse. Zu testen gebe es in der Praxis ohnehin Wichtigeres: Bevor es ernst wird mit einer Frau, sollte man schon prüfen, ob sie einen später zum Fischen lasse. Seine Frau akzeptiert seine regelmäßigen Ausflüge. Geholfen hat wohl, dass Anger früher schon mal ganze Kinderzimmer gewonnen hat beim Preisfischen, der wahrscheinlich einzigen Gelegenheit, bei der Männer gern vor der Kamera posieren.

Als langsam die Sonne schwächer wird, packt Anger sein Zeug und die vier Fische ein, die er für den abermals erfolglosen Gast aus der Isen gezogen hat. Anger, der sein Leben lang immer gleich mit der Rute am Wasser stand, während sich um ihn herum die Welt veränderte, der verlässlich die Fische gefangen hat, ob sie nun in Schwärmen im Fluss standen oder nur mehr einzeln zu finden waren, der sich nie darum scherte, ob die anderen sein Tun nun als Tierquälerei verteufelten oder als Wellness feierten, wird das Zeug schon am nächsten Tag wieder auspacken. Weil das Fischen nicht die Flucht vor dem Wesentlichen ist, während der man sich mit unsinnigen Fragen über Fischgestank beschäftigen sollte. Sondern, weil es für ihn das Wesentliche selbst ist.

Auch Angers Gast wird es weiter probieren, weil er gelernt hat, dass beim Angeln nichts so wichtig ist wie Zähigkeit, beim Warten wie bei den Semmeln. Die Durststrecke am Wasser wird bald vorüber sein. Weil: Alles hat ein Ende. Nur das Fischstäbchen hat zwei.

© SZ vom 05.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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