Polizeischutz:"Wir sind entsetzt und fassungslos"

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Ein Rettungshubschrauber steht an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). (Foto: dpa)

Die Behandlung des mutmaßlichen Clan-Mitglieds Igor K. an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) hat fast 900 000 Euro gekostet. Jetzt musste auch noch der Ärztliche Direktor seinen Posten aufgeben.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Es war ein sagenhaft skurriler Einsatz für diesen Patienten der Medizinischen Hochschule Hannover, kurz MHH. "Völlig einmalig, deutschlandweit, bei uns sowieso", sagt ein leitender Arzt, der seinen Namen angesichts des Ärgers und der Folgen lieber für sich behält.

2456 Polizisten waren laut Polizei fast zwei Wochen und 16 058 Personalstunden lang im Einsatz gewesen, um den angeblichen Mafia-Boss Igor K. aus Montenegro zu bewachen. Der Mann war Ende Januar nahe Podgorica angeschossen worden und am 7. Februar mit schweren Schussverletzungen zur Behandlung nach Niedersachsen geflogen worden, ehe ihn Niedersachen auswies.

Die Klinikleute sind froh, dass Igor K. wieder weg ist, aber vorbei ist die Affäre deshalb keineswegs. Am vergangenen Freitag wurde Igor K. mit einem Hubschrauber der Bundespolizei zum Flughafen und anschließend in einem Learjet nach Istanbul gebracht.

Medizinische Hochschule Hannover
:Der rätselhafte Patient aus Montenegro

In Hannover wird ein Mann mit 27 Schusswunden behandelt, streng bewacht von der Polizei. Erst hieß es, er sei ein Mafiaboss, doch seine Frau dementiert das.

Von Peter Burghardt

"Eine Gefährdungslage", erkannte die Polizei, auch für die Umgebung von Igor K. in der MHH. Sogar von einem möglichen weiteren Anschlag auf das Schussopfer war die Rede. Doch Mediziner der MHH können die irrwitzigen Schutzmaßnahmen nicht nachvollziehen - und noch viel weniger, dass ihr Ärztlicher Direktor gehen musste.

Im Zuge der allgemeinen Verwirrung gab der niedersächsische Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU) am Montag in einer Sondersitzung des Landtags bekannt, dass der Vertrag mit MHH-Vizepräsident Andreas Tecklenburg aufgelöst worden sei. "Einvernehmlich", wie es hieß. Der Grund: "ein erhebliches Informations- und Kommunikationsversagen der MHH", sagte Thümler.

"Wir sind entsetzt und fassungslos"

Einen "Rauswurf" nennt es dagegen ein renommierter MHH-Mediziner. "Wir sind entsetzt und fassungslos", heißt es in einem offenen Brief der Belegschaft. Die Entscheidung stürze die MHH "völlig unnötig in eine handfeste Krise". "Aus unserer Sicht kann diese Fehlentscheidung politisch nicht ohne Konsequenzen bleiben."

Einer der Kritiker findet es "völlig inakzeptabel", dass das Ministerium mitten in der Influenza-Saison und trotz der Sorgen um das Corona-Virus den Ärztlichen Direktor eines der wichtigsten Krankenhäuser Deutschlands feuert. Tecklenburg, sagt er, habe "wirklich gut gearbeitet und hohes Ansehen genossen, die Stimmung könnte jetzt nicht schlechter sein". Die Protestierenden haben den Eindruck, dass sich die Politik da ein Bauernopfer ausgesucht hat, um andere Konsequenzen der Affäre zu vermeiden.

Aber warum kam Igor K. überhaupt in die MHH?

Die Chirurgie der MHH erhielt eine Anfrage. Die Kosten für die medizinische Betreuung in Höhe von gut 90 000 Euro wiederum wurden privat beglichen. Es folgte ein Notruf der MHH, nach drei Tagen gingen SEK-Kommandos auf den Gängen in Stellung. Selbst in Aufzügen sahen sich Mitarbeiter und Besucher Polizisten in voller Montur und mit Maschinenpistolen gegenüber. "Unangenehm", berichtet der Beobachter.

Wer ist Igor K.?

Als Igor K. dann aus dem Gebäude transportiert wurde, seien Leute "wortlos in Zimmer gesteckt und abgeschlossen" worden. "Ohne Erklärung. Ich finde das inadäquat." Für ihn war "diese Dimension nicht annähernd angemessen". Ihm kommt es fast vor, als sei "hier eine schöne Großübung durchgezogen" worden. Der Einsatz müsse aufgeklärt werden, das findet auch Niedersachsens Opposition.

Wer ist Igor K.? Ein Clanmitglied, so die offizielle Version. Ein Unternehmer, der versehentlich angegriffen worden sei und den Schutz nicht gebraucht hätte, meinen seine Frau und ihr Anwalt. Die US-Basis in Ramstein wurde angefragt, wollte ihn aber wegen multiresistenter Keime nicht haben.

Die Kosten der Polizeiaktion: mindestens 900 000 Euro.

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