Chemie-Katastrophe in Ungarn:"Ökologischer Super-Gau"

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Der Auslöser des Fabrik-Unfalls in Westungarn ist einen Tag nach der Katastrophe weiter unklar. Medien und Umweltschützer machen das Betreiberunternehmen für die tödliche Schlammlawine verantwortlich - und üben Kritik an den Behörden.

Mindestens vier Tote, 120 Verletzte, hunderttausende Kubikmeter überschwemmtes Land: In Ungarn hat sich nach einem Unfall in einer Aluminiumfabrik das größte Chemie-Unglück in der Geschichte des Landes ereignet. Doch auch mehr als einen Tag nach dem Unfall, der sich Montagmittag ereignet hat, ist das Ausmaß der Katastrophe nicht abzusehen - und die Gefahr durch die giftigen Schlammmassen nicht gebannt.

Giftschlamm-Desaster in Ungarn
:Kampf gegen die Brühe

Die Bewohner des Katasrophengebiets in Ungarn müssen sich auf lange Aufräumarbeiten einstellen. Manche halten den Kampf gegen Giftschlamm bereits für aussichtlos.

Medienberichten zufolge wird erste Kritik am Krisenmanagement der Behörden laut. Die rote Brühe läuft indes weiter aus der Aluminiumfabrik im Westen des Landes aus, wie der ungarische Umweltstaatssekretär Zoltan Illés sagte.

Der Industrieschlamm tritt aus, seit am Montagmittag ein Becken der Fabrik zerborsten war. Wie es zu dem Unglück kommen konnte, war am Dienstag weiter unklar. Die Schlammlawine durchbrach einen Damm, ergoss sich in einen Bach und vermengte sich mit dem Hochwasser, das schon seit mehreren Tagen die Gegend etwa 35 Kilometer nördlich des Balaton heimsucht. Die giftige Masse überschwemmte den Ort Kolontár und fünf benachbarte Ortschaften. Hunderte Häuser waren betroffen. 400 Menschen mussten in Sicherheit gebracht werden.

Nach Angaben der deutschsprachigen Online-Zeitung Pester Lloyd sind die Einwohner "in großer Panik" mit Hilfe von Traktoren in Sicherheit gebracht worden, nachdem andere Fahrzeuge im Schlamm steckengeblieben waren. Eine Schule sei evakuiert worden, Straßen und Schienenwege unpassierbar. Eine beschädigte Gasleitung stelle eine zusätzliche Gefahr dar.

Die ungarische Regierung rief den Notstand in drei Verwaltungsbezirken im Westen des Landes aus. Betroffen sind Vas, Veszprém und Györ-Moson-Sopron, wie die staatliche Nachrichtenagentur MTI meldet. Der Schaden sei vorerst noch nicht zu ermessen.

Auch die Opferzahl war zunächst unklar. MTI berichtete mit Verweis auf Staatssekretär Illés von vier Toten - unter ihnen ein Einjähriger und seine zwei Jahre ältere Schwester. Außerdem sollen ein 35-Jähriger in seinem Auto sowie ein älterer Mann in seinem Haus ums Leben gekommen sein. Zuvor war von drei Toten - darunter ein Säugling - die Rede gewesen. Sieben Menschen würden noch vermisst, mehr als 120 seien verletzt worden.

Nicht nur die Bewohner der Orte Devecser, Kolontár und Somlóvásárhely seien in Gefahr, sondern auch die Flora und Fauna auf einer Fläche von 40 Quadratkilometern, sagte Staatssekretär Illés. Wie giftig die ausgetretene Brühe ist, konnte er gleichwohl noch nicht sagen.

Nach offiziellen Angaben handelt es sich um ein Abfallprodukt der Aluminiumproduktion, das Schwermetalle enthalte und giftig sei. Dieser so genannte Rotschlamm ist ein Überbleibsel aus der Aluminiumgewinnung und enthält extrem ätzende Stoffe, die bei Hautkontakt für Menschen lebensgefährlich sein können. Schätzungen zufolge sollen 600.000 bis 700.000 Kubikmeter des giftigen Schlamms ausgetreten sein.

Giftschlamm-Desaster in Ungarn
:Kampf gegen die Brühe

Die Bewohner des Katasrophengebiets in Ungarn müssen sich auf lange Aufräumarbeiten einstellen. Manche halten den Kampf gegen Giftschlamm bereits für aussichtlos.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace warnt, dass der toxische Rotschlamm nicht nur ins Grundwasser sickere und dieses vergifte, sondern in getrocknetem Zustand viele Kilometer weit verteilt werden könnte: "Wenn der Giftschlamm trocknet, kann er durch Wind zu nahe gelegenen Siedlungen in einem Radius von zehn bis fünfzehn Kilometern transportiert werden." Ein Team von Umweltschützern sei bereits unterwegs nach Kolontár, um sich ein Bild vom Ausmaß der Katastrophe zu machen, sagte Zsolt Szegfalvi, Leiter des Greenpeace-Büros in Ungarn.

Die toxische Schlammlawine brachte sogar einen Damm in Westungarn zum Bersten - und könnte auch für die Donau eine Gefahr darstellen. (Foto: dpa)

Die Online-Zeitung Pester Lloyd bezeichnete den Unfall am Dienstag als "ökologischen Super-Gau". Das Betreiberunternehmen spiele die Sache herunter.

Die Behörden wiederum haben den Unfall dem Bericht nach offenbar nicht ernst genommen: Das staatliche Katastrophenamt habe erst am Dienstag und damit Stunden nach dem Unfall damit begonnen, die Koordinierung zu übernehmen - so der Vorwurf der Zeitung.

Durch das anhaltende Hochwasser in der Region seien neben kleineren Flüssen auch die Rába und sogar die Donau von einer Kontaminierung bedroht, warnt Pester Lloyd. Das Militär verteile inzwischen mit Hilfe von Hubschraubern "neutralisierende" Flüssigkeiten. Die geborstenen Dämme sollten provisorisch mit Zement abgedichtet werden.

Das staatliche Umweltamt habe den Angaben zufolge von "schwach radioaktiven und krebserregenden Stoffen" gesprochen. Es habe Kontakt zu Wissenschaftlern und Behörden auf Korsika, wo vor Jahren ein ähnlicher Unfall geschah.

Die Online-Zeitung empörte sich über das Verhalten des Betreiberunternehmens: Magyar Alumínium Rt. habe sich erst 24 Stunden nach Bekanntwerden der Havarie mit einer Mitteilung auf ihrer Webseite zu Wort gemeldet. Dabei drücke das Management zwar das "tiefste Bedauern und Beileid" aus, spiele den Vorfall zugleich aber zur "Naturkatastrophe" herunter.

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