Britischer Humor:Ein Erdmännchen räumt ab

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Die Autobiographie einer fiktiven Tierfigur stürmt die britischen Bestsellerlisten und überflügelt dort sogar Jamie Oliver. Das animierte Tierchen war ein Werbegag einer Internetfirma - doch dann entwickelte Aleksandr Orlov ein erstaunliches Eigenleben.

W. Koydl

Gameboy und Xbox, Facebook und Twitter - was wird nicht geklagt, dass in Zeiten elektronischer Unterhaltungsflutwellen das gute alte Buch kaum mehr in die Hand genommen wird. Doch Rettung naht aus Großbritannien. Die Heimat von Chaucer und Shakespeare, von Dickens und Orwell hat der Welt einen neuen Spitzenautor geschenkt: Aleksandr Orlov, ein fiktives, aber dafür possierliches animiertes Erdmännchen. Seine nicht minder fiktive Autobiographie "A Simples Life" ist auf Platz drei der britischen Bestsellerliste gestürmt.

Gestatten: Orlov, Aleksandr, Bestseller-Autor und Erdmännchen. (Foto: oh)

Es dürfte kaum einen Briten geben, der Orlov nicht kennt, seit das putzige Tierchen vor zwei Jahren mit Fernsehwerbung für die Preisvergleichswebsite comparethemarkets.com begann. Die Agentur VCCP machte sich den englischen Namen des Tieres zunutze: Erdmännchen heißen meerkats und die Pointe des Werbespots beruht auf dem Silbendreher von meerkat zu market. Gekleidet in ein altmodisches Samtjackett mahnt Orlov mit dickem russischen Akzent, nicht bei der Website comparethemeerkat.com nach Versicherungstarifen zu suchen, sondern bei comparethemarket. "Simple", endet Orlov mit einem Quietschen. "Ganz einfach".

Das Filmchen schlug derart gut ein, dass VCCP weitere Folgen drehte. In ihnen geht es um die harte Familiengeschichte der Orlovs, die in der Aussage enden: "Mein Urgroßvater durchlitt nicht all das, nur damit ich Ihnen heute eine billige Autoversicherung nennen kann." Von hier war es ein kleiner Schritt zur offiziellen, 127 Seiten starken und großzügig bebilderten Autobiographie.

In ihr wird die Geschichte der Familie von ihren fernen Urahnen in der Kalahari-Wüste bis zu ihrem heutigen Wohnort im fiktiven Moskauer Vorort Merkovo behandelt. Interessierte Leser erfahren alles über den legendären Krieg der Erdmännchen gegen die Mungos und über den Tiefpunkt im Familienschicksal, als ein Vorfahr in Moskauer Slums Bisamratten vergleichen musste - englisch muskrats.

Derart geneigte Leser gibt es tatsächlich in großer Zahl. Seit der Veröffentlichung im Oktober ist "A Simples Life" mehr als 130.000 Mal verkauft worden. Hollywood hat sich zwar noch nicht gemeldet, doch dafür plant eine Musikfirma eine Single mit Aleksandr Orlov.

Vorübergehend verdrängte das Erdmännchen sogar einen anderen britischen, nun ja, Schriftsteller vom Spitzenplatz der Bestsellerliste, der einen eigenen Rekord im Buchgewerbe aufgestellt hatte. Prominentenkoch Jamie Oliver ist erst der zweite Autor nach der Harry-Potter-Schöpferin J.K. Rowling, dem es gelungen ist, Bücher im Wert von mehr als 100 Millionen Pfund zu verkaufen. Von seinem im September erschienenen jüngsten Kochbuch mit 30-Minuten-Rezepten wurden bisher knapp 550.000 Exemplare abgesetzt. Es ist bereits das zwölfte literarische Werk des Kochs, der damit - wie die Londoner Times süßsauer errechnete - auf das Gehalt eines Profifußballers käme, ohne einen Kochlöffel zur Hand nehmen zu müssen.

Was elektronische Kommunikationsmittel betrifft, so sind sie Olivers vierbeinigem Schriftstellerkollegen Orlov ebenfalls nicht fremd: Das Erdmännchen hat 22.000 Follower bei Twitter und erstaunliche 700.000 Freunde bei Facebook. Spiele für die Xbox werden wohl nicht lange auf sich warten lassen.

© SZ vom 11.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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