Seltsame Auszeichnungen:Dingsbums des Jahres

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Was haben ein Alpensee, Wim Wenders und eine Blume gemeinsam? Richtig, sie sind alle Preisträger des Jahres. (Foto: dpa)

Wim Wenders wurde gerade zum Düsseldorfer des Jahres gekürt, der Große Wiesenknopf zur Blume des Jahres und der Alpensee zum Gewässertyp des Jahres. Ach, hört doch auf mit diesen ganzen Auszeichnungen!

Von Martin Zips

"Wenn's um nichts geht, nimmt die Politik immer den Mund voll, wie wichtig doch Kultur für unsere Gesellschaft ist, für unsere Zivilisation, für unser Gemeinschaftsgefühl. Und kaum kommt mal ein Ernstfall, ist das schnell vergessen."

Ein gutes Zitat! Gesagt hat es vor wenigen Tagen der Filmregisseur Wim Wenders im Gespräch mit der Rheinischen Post. Nun könnte man ausführlich darüber philosophieren, wie es ist, wenn die Politik den Mund vollnimmt und was eigentlich dieser Ernstfall ist. Lieber aber betrachtet man den Anlass, zu dem Wim Wenders befragt worden ist. Der Regisseur gab dem Blatt nämlich ein Interview, nachdem der dahinterstehende Verlag ihn zuvor, Achtung, zum Düsseldorfer des Jahres gewählt hatte.

Also, vom Wort des Jahres, vom Vogel des Jahres und vom Theater des Jahres haben wir ja schon gehört. Dass es aber, wie sich herausstellt, seit einigen Jahren auch den Düsseldorfer des Jahres gibt, das war uns dann doch neu.

Ein Jahrestreffen aller "XY des Jahres" wäre doch schön

Ob sich alle, die zu Diesem oder Jenem "des Jahres" gewählt worden sind, gelegentlich mal bei einem Jahrestreffen sehen? Ob sie, wenigstens einmal im Jahr, zusammenkommen wie die Nobelpreisträger in Lindau am Bodensee? Ob sie diesmal zumindest eine gemeinsame Videokonferenz abhalten?

Pfeifenraucher des Jahres 2018: die Schauspielerin Sonja Kirchberger. Gestiftet wird der Titel von einem dieser zigtausend sehr deutschen Verbände, nämlich dem Verband der Rauchtabakindustrie. (Foto: Jörg Carstensen/picture alliance)

Ach, das wäre doch schön. Denn dann könnte sich der Krawattenmann des Jahres (zuletzt: Till Brönner) auch mal mit dem Brillenträger des Jahres (Daniel Hartwich) unterhalten und gleichzeitig dabei mit der Mikrobe des Jahres (Methanothermobacter) oder dem Tier des Jahres (Fischotter) ein wenig scherzen. Der Torschütze des Jahres (Valentino Lazaro) wiederum könnte sich ein bisschen über den Pfeifenraucher des Jahres (2018 war das die Schauspielerin Sonja Kirchberger) aufregen, weil unter dessen Rauchschwaden der ebenfalls anwesende Große Wiesenknopf, also die ganz, ganz aktuell gewählte deutsche Blume des Jahres, schon ganz gelb geworden ist. Die Flechte des Jahres (Gewöhnliche Mauerflechte) hingegen ist von Natur aus blass.

"Orden sind mir wurscht", soll der Komponist Johannes Brahms einmal gesagt haben, "aber haben will ich sie."

Um hier einmal ganz ehrlich zu sein: Wir wollen eigentlich nichts mehr sehen oder hören von diesem ganzen Auszeichnungskram. Wir können nicht mehr! Es ist zu viel. Und ist es nicht eigentlich "besser, Ehrungen zu verdienen und nicht geehrt zu sein, als geehrt zu sein und es nicht zu verdienen"? So sah es zumindest ein Mark Twain.

Wer oder was ist nochmal der DHV?

Natürlich geht es bei all dem meist um Aufmerksamkeit. Weniger um Aufmerksamkeit für die Ausgezeichneten als vielmehr um Aufmerksamkeit für die Auszeichnenden, die mit ihrer Wahl natürlich auch ein bisserl was abhaben wollen von all dem Ruhm. Was wäre etwa der DHV ohne seine aktuell getroffene Entscheidung, die bedeutenden deutschen Virologen Christian Drosten und Sandra Ciesek zu Hochschullehrern des Jahres zu machen? Wobei noch nicht abschließend geklärt ist, ob es sich beim DHV um den Deutschen Hängegleiterverband, den Deutschen Hanfverband oder den Deutschen Hebammenverband handelt, die kürzen sich nämlich alle so ab. Wahrscheinlich ist es am Ende doch der Deutsche Hochschulverband, der hier ehrt, das ergäbe ja Sinn.

Noch etwas: Ist es nicht eine fabelhafte Idee, dass das Umweltbundesamt gerade ausgerechnet den Alpensee zum Gewässertyp des Jahres ernannt hat? Das hat er doch wirklich mal verdient. Die Deutsche Post wiederum, auch das ist spannend, sucht dieser Tage ihre Briefmarke des Jahres. Wirklich? So eine mit Bildern drauf? Gibt es das noch, in der Filiale?

Das eigentliche Problem aber bleibt die Inflation derartiger Ausrufungen, gegen die die Heiligenparade der Kirche ein Kindergeburtstag ist. Gerade war noch Tag des Grashüpfers, bald ist Monat der Socke und jetzt: Düsseldorfer des Jahres. Man kommt sich vor wie in einer Firma, die ständig neue Mitarbeiter der Woche kürt. Der Druck ist kaum noch auszuhalten.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich ist es großartig, dass Biontech-Gründer Özlem Türeci und Uğur Şahin kürzlich im Berliner Schloss Bellevue mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurden. Also ganz ähnlich wie einst der Maskenhändler Georg Nüßlein. Und klar, wer würde nicht auch gerne mal ein Rehkitz, einen Oscar, eine Goldene Henne oder einen Salzburger Stier in seinen Händen halten? Wenigstens eine Saure Gurke für einen Satz, der mal wieder zeigt, wie Männer eigentlich ticken. Aber keine Angst. "Mit der Zeit kommt alles", wusste Theodor Fontane, "Orden, Titel, Tod."

Orden als Opium fürs Volk

Nur manchmal hat der Mensch halt schon den Eindruck, man möchte ihn mit all dem Geehre nur von seinen eigentlichen Problemen ablenken. Ihm so eine Art Ordens-Opium verabreichen. Besonders jetzt, da der Kultur eine schon sehr lange Zwangspause verordnet wurde.

Vielleicht wäre es daher doch mal an der Zeit, mit dem Pflug durch das unter exponentiellem Wachstum leidende Feld der Ehrungen und Jahrestage zu gehen. Damit am Ende nur noch die übrig bleiben, die wirklich zählen. Also so etwas wie der Tag der Arbeit zum Beispiel, der Friedenspreis des deutschen Buchhandels oder die Goldene Palme von Cannes.

Das Stumpfkrokodil ist das Zootier des Jahres 2021. Das Tier des Jahres ist der Fischotter. Wäre wohl besser, wenn die beiden Titelträger sich nie begegnen. Jedenfalls für den Fischotter. (Foto: N/A)

Einst waren Auszeichnungen dazu gedacht, dem Menschen Orientierung zu geben auf seinem verworrenen Lebensweg. Auf wirklich Besonderes, Bedenkenswertes, Schutzwürdiges oder Vorbildhaftes hinzuweisen. Ihm Vorbilder oder, wie es heute heißt, "Role Models" an die Hand zu geben. Und, sicher, das kann selbstverständlich auch mal ein Düsseldorfer sein. Aber muss der Tierpark Hellabrunn dieser Tage wirklich sein Stumpfkrokodil zum Zootier des Jahres ausrufen? Da kann man ja gleich die Stechpalme zum Baum des Jahres machen.

Mist, das ist sie schon.

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