Berlin:Acht tödliche Schüsse

Lesezeit: 2 min

Ein Zugang zum Tempelhofer Feld an der Oderstraße in Berlin-Neukölln wird abgesperrt, nachdem Nidal R., 36, auf offener Straße vor den Augen seiner Kinder erschossen wurde. (Foto: Paul Zinken/dpa)
  • Am Sonntagnachmittag wurde in Berlin-Neukölln der Intensivtäter Nidal R. erschossen.
  • Wer hinter der Tat steckt und warum der Mann sterben musste, ist derzeit noch unklar.
  • In Berlin verbindet jeder etwas mit diesen Namen, denn der Mann ist einer der bekanntesten Intensivtäter der Hauptstadt.

Von Verena Mayer, Berlin

Szenen, wie sie sich am Sonntagnachmittag im Berliner Bezirk Neukölln nahe des Tempelhofer Feldes abspielten, kennt man aus Mafia-Filmen. Ein oder mehrere Männer nähern sich auf offener Straße einem Mann, der mit seiner Familie unterwegs ist. Acht Schüsse fallen, der Mann geht vor den Augen der Kinder zu Boden. Schreie, überall Blut. Wer hinter der Tat steckt und warum der Mann sterben musste, ist noch unklar.

Fest steht jedoch, wer der Tote ist: der 36 Jahre alte Nidal R. In Berlin verbinden viele etwas mit diesem Namen, denn der Mann ist einer der bekanntesten Intensivtäter der Hauptstadt. Er hat mit Drogen gehandelt, auf sein Konto gehen Raub, gefährliche Körperverletzung, Misshandlung, Nötigung und unzählige Verkehrsdelikte. Noch bevor Nidal R. 21 war, hatte er 81 Einträge in seiner Polizeiakte, in der Berliner Staatsanwaltschaft gab es seinetwegen eine eigene Abteilung. Bundesweit Aufmerksamkeit erregte Nidal R. 2003, als Berliner Polizisten seine Geschichte unter dem Deckmantel "Mahmoud" in einer Fachzeitschrift öffentlich machten. Um auf einen ganz bestimmten Typus jugendlichen Straftäters hinzuweisen und darauf, dass es den Behörden an Sanktionierungsmaßnahmen fehle.

Nidal R. kam mit acht Jahren als staatenloser Sohn palästinensischer Eltern aus Libanon. Die Mutter versprach den Kindern, wie in einem Gerichtsgutachten festgehalten wurde, dass man in Deutschland die Schokolade vom Boden essen könne, gelandet ist die siebenköpfige Familie in Berlin-Neukölln. Mit zehn schlug Nidal R. andere Schüler und stahl im Kaufhaus. Es folgten Prügeleien, eine Messerstecherei, einem Jugendlichen presste er mit einer Schreckschusswaffe 120 Mark ab. 1998 kam er das erste Mal in Haft, nachdem er bei einer Beerdigungsfeier mit einem Messer auf einen Mann eingestochen hatte.

Immer wieder gab es Versuche, ihn abzuschieben

Zwei Jahre später beraubte er die Wirtin einer Cocktailbar, lieferte sich nach einer Verkehrskontrolle eine Verfolgungsjagd mit der Polizei und beging nach einem Unfall Fahrerflucht. Er wurde zu einer Haftstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt, und als er danach wieder in eine Prügelei verwickelt war, wurde seine Geschichte unter dem Stichwort "Mahmoud" zum Politikum. Immer wieder gab es Versuche, ihn abzuschieben, was aber daran scheiterte, dass Libanon sich weigerte, ihn aufzunehmen. 14 Jahre hat Nidal R. im Gefängnis verbracht, mehr als ein Drittel seines Lebens. Erst vor Kurzem ist Nidal R. aus der Haft entlassen worden.

Doch in den vergangenen Jahren ist auch einiges passiert, und Nidal R. wurde zum Beispiel, wie man mit Intensivtätern umgehen kann. In Berlin wurde eine sogenannte Intensivtäter-Kartei angelegt, die alle entsprechenden Straftäter erfasst und es möglich macht, sie engmaschig zu beobachten. Dazu wurde in den Behörden einiges umgestellt, sodass die Täter bei Polizei und Justiz immer durch die gleichen Ermittler betreut werden, was schnellere Strafen ermöglicht. Und die Berliner Behörden haben sich zuletzt besser gegen jene Neuköllner Familienclans aufgestellt, in deren Umfeld auch Nidal R. unterwegs war. Im Bezirk Neukölln gibt es nun eine eigene Staatsanwaltschaft, die sich mit Straftaten befasst, die den kriminellen Clans zugeordnet werden.

Mit einem Streit zwischen Clans könnte auch die Tat zusammenhängen, Medienberichten zufolge soll sich Nidal R. mit dem Chef eines verfeindeten Clans zusammengetan haben. Dazu brodelt es in der Szene, seit die Behörden vermehrt Razzien durchgeführt und Besitztümer der Clans beschlagnahmt haben. In einem der vielen Prozesse gegen Nidal R. sagte eine Staatsanwältin einmal, wenn er sich ernsthaft ändern wolle, müsse er sein Neuköllner Umfeld hinter sich lassen. Es gelang ihm nicht. Am Sonntag wurde Neukölln der Ort seines gewaltsamen Todes.

© SZ vom 11.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Berlin
:Wie die Polizei gegen kriminelle Clans vorgeht

Sie sollen Banken überfallen haben, aber auch für einen spektakulären Kunstraub im Berliner Bode-Museum verantwortlich sein: Ermittler haben 77 Immobilien der deutsch-arabischen Großfamilie R. vorläufig beschlagnahmt.

Von Hans Leyendecker

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: