Public Shaming:"Eine egoistische Minderheit im Verkehr"

Lesezeit: 2 Min.

Heinrich Strößenreuther, 51, bezeichnet sich selbst als Fahrrad-Aktivist. Als Strafe für zugeparkte Radwege fordert er: "Knolle statt Knöllchen". (Foto: Norbert Michalke)

Radwege versperrt, Behindertenparkplätze zugeparkt. Der Berliner Heinrich Strößenreuther wehrt sich digital. Mit seiner App "Wegeheld" können Falschparker angeschwärzt werden. Ein Anruf bei einem Entnervten.

Von Aurelie von Blazekovic

Wenn Heinrich Strößenreuther eine Sache so richtig aufregt, dann sind es rücksichtslose Autofahrer. Der Berliner Fahrrad-Aktivist hat die App Wegeheld entwickelt, mit der man Falschparker anschwärzen kann. Dafür muss man nur ein Foto vom Fahrzeug machen und das Vergehen schildern. Die App postet das Foto dann automatisch auf dem Twitter-Kanal @DasMussWeg, wo man sich durch mehr als 70 000 regelwidrig abgestellte Autos scrollen kann. Optional kann man Parksünder mit der App auch direkt beim Ordnungsamt anzeigen.

SZ: Herr Strößenreuther, ist Wegeheld eine App für Petzer?

Heinrich Strößenreuther: Na ja. Petzen am Schulhof ist nicht cool, aber wenn eines der Kinder ein Messer in der Hand hält, es also um Gefahren geht, sind alle Eltern heilfroh, wenn jemand was gesagt hat. Und hier geht es tatsächlich um Gefahren. Wenn ein Kind oder eine klapprige alte Dame Fahrrad fährt und an einem Auto, das am Radweg parkt, vorbeifahren muss, ist das eine gefährliche Geschichte. Das ist eigentlich das Kernthema. Wir haben zur Zeit eine egoistische Minderheit im Verkehr, die sich danebenbenimmt und der Mehrheit ihr Leben beschwerlicher macht.

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Dann nehmen Sie den Petzer-Vorwurf gerne an?

Es geht gar nicht um Petzen, es geht darum, dass die Regeln eingehalten werden, und es geht darum, verdammt noch mal, dass unsere Ordnungsämter ihren Job nicht auf die Reihe kriegen.

Warum sollen Menschen in ihrer Freizeit Ordnungsamt spielen?

Die Ordnungsämter sind dem Verhalten der Autofahrer nicht mehr gewachsen. Außerdem haben wir in Deutschland einen Bußgeldkatalog, der nicht dazu führt, dass Autofahrer sich an die Regeln halten. Wenn die Bußgelder nur lächerliche zehn oder 15 Euro hoch sind, tut das niemandem weh, und das sieht man leider auf den Straßen. Das heißt dann zu Recht Knöllchen, was wir brauchen, ist eine Knolle. Wenn man einmal 100 Euro zahlt, überlegt man sich, ob man sein Auto da ein zweites Mal hinstellt.

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Nutzen Sie Wegeheld auch selbst?

Ja. Es kommt immer darauf an, an welchen Stellen das ist und ob ich mich ärgere. Aus meiner persönlichen Betroffenheit als Fahrradfahrer regen mich Falschparker auf Radwegen am meisten auf.

Man kann ja in Berlin beim Ordnungsamt inzwischen alle möglichen Vergehen online melden, also Sperrmüll oder Hundehaufen auf dem Gehweg zum Beispiel. Machen Sie das auch?

Nee, mir geht's nur um den Flächenkonflikt. Wenn wir die Klimakrise auch nur ansatzweise in den Griff kriegen wollen, brauchen wir deutlich mehr Radverkehr und weniger Autoverkehr in den Städten. Das ist mein Thema, Hundehaufen interessieren mich nicht. Insgesamt haben wir in den Städten aber schon das Problem, dass wir zu wenig Regeln zum guten Zusammenleben beachten. So funktionieren moderne Gesellschaften nicht. Dann kommen wir in den völligen Regelverfall, mit Rücksichtslosigkeiten aller Art.

Haben Sie ein Herz für Petzer?

Ja und nein. Ja, weil es echt Notwehr ist und sonst gar nichts passiert. Nein, weil es kein schönes Gefühl ist zu verpetzen. Ich glaube aber auch, dass Petzen etwas ist, das die Schwachen machen, nicht die Starken.

Haben Sie schon mal ein Knöllchen bekommen?

Ich muss überlegen. In meinem Leben habe ich bestimmt schon mal eines bekommen. Muss vor mehr als zehn Jahren gewesen sein.

Wissen Sie noch, wofür?

Keine Ahnung. Wahrscheinlich abgelaufene Parkuhr oder so was. Mit Sicherheit stand ich nicht auf dem Radweg oder Behindertenparkplatz.

© SZ vom 03.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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