Anschlag auf BVB-Bus:Was wir über den mutmaßlichen Täter wissen

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Die Polizei sperrte am Freitag ein Wohngebiet in Rottenburg am Neckar ab und durchsuchte ein Gebäude. (Foto: dpa)

Die Polizei oberserviert die Wohnung von Sergej W. eine ganze Nacht lang. Als der 28-Jährige zu seiner Arbeitsstelle in einem Heizkraftwerk fährt, greifen die Ermittler zu. Der Beschuldigte schweigt zu den Vorwürfen.

Von Stefan Mayr und Anna Fischhaber

Waren es Islamisten? Linksextreme? Rechtsextreme? Oder gar Fußballfans? Tagelang war nach dem Anschlag auf den Mannschaftsbus des BVB über den Täter spekuliert worden. Am Freitag dann die überraschende Wende: Der 20-fache Mordversuch geschah offenbar aus reiner Habgier. Der mutmaßliche Täter: Ein Einzelner, der auf fallende BVB-Aktien gewettet hatte. Er sitzt nun in Untersuchungshaft.

BKA-Präsident Holger Münch sagte im ZDF-"heute journal", bislang habe sich der Mann nicht zu den Vorwürfen geäußert. Die Ermittler seien ihm schon "sehr früh" auf die Spur gekommen, nachdem sie einen Hinweis auf auffällige Käufe von Optionsscheinen bekommen hätten.

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Der Klub will nach dem Anschlag "Sicherheitsmaßnahmen in ganz neuem Stil ergreifen", sagt BVB-Geschäftsführer Watzke der SZ. Er führe bereits Vorstellungsgespräche.

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"Die hat ein Profi gebastelt", hatten die Ermittler bereits kurz nach dem Anschlag über die drei Bomben in Dortmund gesagt. Sergej W. hatte dazu offenbar den nötigen Sachverstand. 2015 schloss er an der Heinrich-Schickhardt-Berufsschule in Freudenstadt seine Ausbildung zum "Elektroniker Betriebstechnik" ab. Als einer der besten Absolventen erhielt er sogar einen Schulpreis. Seit Mitte 2016 war er als Elektriker im Biomasse-Heizkraftwerk des Tübinger Universitätsklinikums beschäftigt. Dies bestätigte ein Sprecher der Mannheimer MVV Energie AG, deren Tochter MVV Enamic GmbH das Kraftwerk betreibt.

Bei der Ausführung des Anschlags soll sich der Tatverdächtige dann jedoch nicht mehr ganz so professionell angestellt haben. Beim Anbringen der Bomben in einer Hecke soll er sich zwei Zeckenbisse zugezogen haben, die sich so entzündeten, dass er zum Arzt musste. Offenbar war es auch seinem Fehler zu verdanken, dass bei der Explosion nur Borussia-Verteidiger Marc Batra und ein Polizist verletzt wurden. Eine der drei Bomben war so hoch angebracht, dass die Metallstifte über den BVB-Bus hinweg flogen.

Sergej W. besitzt die deutsche und russische Staatsangehörigkeit. Er wurde im russischen Tscheljabinski im Südural geboren und kam 2003 mit 14 Jahren gemeinsam mit seinen Eltern nach Deutschland. Gemeldet war er in dem Schwarzwald-Kurort Freudenstadt zwischen Karlsruhe und Freiburg - in einem Wohnblock in der Nähe des Stadtbahnhofs. Der Hausmeister beschreibt den Tatverdächtigen als "freundlich und unauffällig" und "immer ordentlich gekleidet".

Zuletzt hatte er in Rottenburg am Neckar (Landkreis Tübingen) in einer Einliegerwohnung zur Untermiete gewohnt. Dort war er am Freitagmorgen gegen fünf Uhr zur Arbeit nach Tübingen losgefahren. Die Polizei hatte die Wohnung bereits die ganze Nacht observiert und verfolgte ihn mit Zivil-Fahrzeugen. In Tübingen nahmen ihn Spezialkräfte der GSG 9 dann fest, noch bevor er seinen Arbeitsplatz erreicht hatte. Im Anschluss an die Festnahme gab es Durchsuchungen in den zwei Wohnungen des Verdächtigen in Freudenstadt und Rottenburg sowie an seinem Arbeitsplatz und in der Wohnung seiner Freundin in Haiterbach (Landkreis Calw).

Eine Verdachtsanzeige der Comdirect-Bank hatte zuvor den entscheidenden Hinweis gebracht: Sergej W. hatte drei verschiedene Put-Optionen auf die Aktie von Borussia Dortmund erworben. Doch der Mann hatte vor der Tat nicht nur Kredite über mehrere zehntausend Euro aufgenommen, um auf fallende BVB-Aktien zu wetten, er hatte auch bereits Mitte März im Mannschaftshotel für die zwei in Frage kommenden Termine für das Heimspiel ein Zimmer gebucht.

Hotelangestellte erinnerten sich daran, dass er auf den Blick auf die Straße bestanden hatte. Das war deshalb ungewöhnlich, weil im Hotel L'Arrivée normalerweise die Zimmer zum Wald hin begehrter sind. Zudem soll er den Großteil der Aktiengeschäfte am 11. April über die IP-Adresse des Hotels abgewickelt haben. Nach der Tat erwies er sich als ziemlich kaltblütig - er reiste nicht sofort ab, sondern ließ sich, wie alle anderen Hotelgäste auch, von der Polizei befragen. Die Rechnung wies aus, dass er auch noch ein Steak gegessen hatte und sich massieren ließ.

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Sergej W. soll den Anschlag auf die Dortmunder Profis verübt haben. Er logierte im Mannschaftshotel, dort wettete er auf fallende BVB-Aktien. Nach der Tat aß er noch ein Steak - und ließ sich massieren.

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Bislang liegen den Ermittlern keine Hinweise vor, dass S ergej W. Gehilfen oder Komplizen hatte. Am späten Freitagnachmittag wurde er dem Richter vorgeführt, der auf Antrag der Bundesanwaltschaft Haftbefehl erlies. Dem 28-Jährigen werden Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion, gefährliche Körperverletzung und versuchter Mord zur Last gelegt. Nach bisherigen Erkenntnissen war dies ein Mordversuch aus Habgier - und darauf steht normalerweise lebenslange Haft.

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