Bei Bombenanschlägen auf den weltbekannten Boston-Marathon sind mindestens drei Menschen getötet worden, unter ihnen ein achtjähriger Junge. Mehr als 100 weitere Menschen wurden durch die beiden fast zeitgleichen Explosionen während des Großereignisses in der US-Ostküstenmetropole am Montag verletzt, wie die Behörden mitteilten. Der Nachrichtensender CNN meldet mindestens 144 Verletzte.
Präsident Barack Obama erklärte noch am Abend in einer kurzen Live-Ansprache im Fernsehen, man wisse noch nichts über Täter oder Motiv, werde die Verantwortlichen aber zur Rechenschaft ziehen. Bei Obamas Auftritt schwang Entschlossenheit mit, er sprach von einer "Tragödie", das Wort "Terrorismus" vermied er.
Obama wurde nach Angaben des Präsidialamts von FBI-Chef Robert Mueller und Heimatschutzministerin Janet Napolitano über die Ereignisse informiert. Die Regierung werde jede Hilfe zur Verfügung stellen, die bei den Ermittlungen benötigt werde. Obama sagte, er habe die Bundesbehörden angewiesen, die Sicherheitsmaßnahmen in den USA, wo es nötig sei, zu erhöhen. Auch die Behörden in den Städten New York und Washington kündigten solche Schritte an.
Verschärfte Sicherheitsvorkehrungen
Der Gouverneur des Bundesstaats Massachusetts, Deval Patrick, erklärte, dass sich die Einwohner von Boston in den kommenden Tagen auf eine "erhöhte Polizeipräsenz" und Routinekontrollen von Rucksäcken und Paketen einstellen müssten. Der Tatort rund um das Ziel des Marathons bleibe abgeriegelt. Patrick rief die Bevölkerung auf, verdächtiges Verhalten den Behörden zu melden.
Auch in den New Yorker U-Bahnen und Bahnhöfen hat die Polizei ihre Präsenz deutlich erhöht. An nahezu jeder Haltestelle der Subway stand am Montagabend (Ortszeit) ein Polizist, an größeren Bahnhöfen auch mit Sturmgewehr beziehungsweise Maschinenpistole, Schutzweste und Gefechtshelm. Zudem gab es Durchsagen, um die Reisenden zu beruhigen. "Die Polizei ist für Sie da, wir schützen Sie", aber auch: "Wenn Sie etwas Verdächtiges sehen, behalten Sie es nicht für sich, sondern verständigen Sie einen Polizisten."
Vertreter des Weißen Hauses sprechen anonym von einem "Terrorakt"
Unter dem Mantel der Anonymität scheuten sich Vertreter des Weißen Hauses nicht, von Terrorismus zu sprechen. Ein ranghoher Mitarbeiter Obamas sagte, dass "jedes Ereignis mit mehreren Sprengsätzen - wie offenbar dieses - ein klarer Terrorakt" sei. Auch im Kongress war schnell von einem Anschlag die Rede. Senatorin Susan Collins sagte etwa, die Explosionen "tragen alle Kennzeichen einer Terrorattacke".
Kurz nachdem die Explosionen im Abstand von nicht einmal 15 Sekunden die Zuschauerzonen vor dem Zieleinlauf verwüstet hatten, schalteten die USA reflexartig in den Terrorabwehr-Modus. Am Bostoner Flughafen wurde der Verkehr vorübergehend eingestellt, in New York und anderen großen Städten des Landes erhöhten die Behörden umgehend die Sicherheitsvorkehrungen. Der Secret Service sperrte den Touristenbereich vor dem Weißen Haus in Washington ab. "Tödliche Terrorattacke beim Bostoner Marathon", blendete der Nachrichtenkanal CNN ein.
Die Ermittler waren dagegen zurückhaltend. "Das sind strafrechtliche Ermittlungen und mögliche Terrorermittlungen" sagte der leitende Agent der Bundespolizei FBI, Rick DesLauriers, bei einer Pressekonferenz. Einzelheiten nannte er mit Verweis auf "laufende Ermittlungen" nicht.
Die Bostoner Polizei berichtete, ihr seien vor den Explosionen keine konkreten Drohungen bekannt gewesen. Polizeichef Ed Davis wies Berichte zurück, nach denen ein Tatverdächtiger gefasst sei. Es würden mehrere Menschen vernommen, bestätigte der Commissioner lediglich.
Wachgerufenes Trauma des 11. September
Das FBI will offenkundig Schnellschüsse vermeiden - denn spätestens seit dem 11. September 2001 ruft ein Anschlag auf dem Staatsgebiet der USA unweigerlich Spekulationen über eine mögliche Drahtzieherschaft des Terrornetzwerks al-Qaida oder verbrüderter Gruppen hervor. Die Attacke mit fast 3000 Todesopfern, bei denen Al-Qaida-Anhänger das einst stolze World Trade Center in New York mit zwei von insgesamt vier gekaperten Passagierflugzeugen zum Einsturz brachten, hat sich tief in die kollektive Psyche des Landes eingegraben.
Die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Senat, Dianne Feinstein, hält eine Terrorattacke in Boston für wahrscheinlich - es wäre der schwerste Anschlag auf US-Boden seit dem 11. September 2001. Allerdings sei unklar, ob es sich bei den Tätern um eine ausländische Terrorgruppe handele, sagte Feinstein. Denn die USA haben auch eine Tradition des Inlandsterrorismus: Im April 1995 sprengte der Veteran Timothy McVeigh ein Gebäude von Bundesbehörden in Oklahoma City in die Luft, 168 Menschen kamen ums Leben. Angetrieben wurde er offenbar vom Hass auf die Regierung in Washington.
Nach Angaben der Organisatoren gingen 23.326 Läufer an den Start, eine halbe Million Zuschauer säumten die Straßen. Die Explosionen ereigneten sich am Nachmittag gegen 14:50 Uhr (Ortszeit) etwa 100 Meter voneinander entfernt, als Hobby-Läufer gerade die Ziellinie überquerten. Der Großteil aller Läufer, 17.584 Personen, hatte das Ziel bereits erreicht. "Es klang wie ein Überschallknall", sagte eine Teilnehmerin des traditionsreichen Marathons, der erstmals 1897 ausgetragen wurde. "Ich zittere immer noch."
Ban: "Schrecklicher und sinnloser Akt der Gewalt"
Weltweit mehren sich nun die Reaktionen auf den Vorfall. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich in einer ersten Reaktion erschüttert und verurteilte die Bombenanschläge scharf. "Diese sinnlose Gewalt ist umso schrecklicher, weil sie bei einem Ereignis stattgefunden hat, das dafür bekannt ist, Menschen aus aller Welt in Fairness und Harmonie zusammenzubringen", sagte Ban am Montag (Ortszeit) in New York. Seine Gedanken seien bei den Angehörigen der Opfer und bei allen Menschen in Boston.
Auch Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen äußerte sich entsetzt über den Bombenanschlag in der US-Ostküstenmetropole Boston. "Ich bin tief schockiert von den Explosionen beim Boston-Marathon", erklärte Rasmussen in der Nacht zum Dienstag in Brüssel. Er sprach den Familien und Freunden der Todesopfer sein Mitgefühl aus und wünschte den Verletzten eine vollständige Genesung. "Meine Gedanken sind bei den Menschen in Boston und in den gesamten USA", erklärte der Nato-Generalsekretär weiter.
Der britische Premierminister David Cameron äußerte sich via Twitter zu dem Anschlag "Die Bilder aus Boston sind schockierend und entsetzlich", schrieb Cameron in der Nacht zum Dienstag. Seine Gedanken seien bei allen Betroffenen, so der Premier weiter.
Die US-Flaggen vor dem Kongressgebäude in Washington wehten nach dem Anschlag auf halbmast, eine Anordnung des Speakers John Boehner. "Das ist ein schrecklicher Tag für alle Amerikaner", schrieb er in einer Mitteilung.
Auch Frankreich ruft zu erhöhter Wachsamkeit auf
Der Vorfall in Boston wirkt mittlerweile auch in Europa nach. So hat der französische Innenminister Manuel Valls zu erhöhter Wachsamkeit aufgerufen. Valls habe angeordnet, dass die Sicherheitskräfte "ohne Verzögerung" die Zahl ihrer Patrouillen erhöhten, teilte das Ministerium in Paris am späten Montagabend mit. Der Schwerpunkt solle dabei weiterhin auf der Umgebung öffentlicher Gebäude liegen.
Valls rief in der Mitteilung zudem die Bürger auf, wachsam zu sein und beispielsweise verdächtige Pakete oder Gepäckstücke zu melden. Panik solle jedoch vermieden werden. Sollte es zu einem "Vorfall" oder einem Alarm kommen, müssten die Anweisungen der Sicherheitskräfte unbedingt befolgt werden, mahnte der Minister. Die Franzosen sollten in einem solchen Fall "ihre Geduld und ihren Bürgersinn" unter Beweis stellen.
Für Verwirrung sorgte eine Erklärung von Commissioner Davis zu einer angeblichen dritten Detonation, welche die John F. Kennedy Presidential Library and Museum in Boston getroffen hätte. Später zog die Polizei dies zurück. Bei dem Vorfall habe es sich lediglich um ein Feuer gehandelt, das allem Anschein nach nicht im Zusammenhang mit den Explosionen beim Marathon gestanden habe.
Gesellschaftliches Leben vorerst lahmgelegt
Das Boston Symphony Orchester sagte ein für den Abend geplantes Konzert ebenso ab wie die Eishockeymannschaft der Boston Bruins ihr Heimspiel. Die nordamerikanische Basketball-Liga NBA hat nach dem Bombenanschlag das für Dienstag geplante Heimspiel der Boston Celtics gegen die Indiana Pacers ersatzlos gestrichen.
Als Reaktion auf die Tat weiteteten die US-Börsen ihre Verluste aus und schlossen deutlich im Minus. Auch die Märkte in Fernost verbuchten zu Handelsbeginn kräftige Verluste.
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