Amoklauf von Winnenden:Kultur des Hinschauens

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83 Vorschläge zur Prävention: Verhindern wird man Amokläufe nicht immer können, ein Expertenteam stellt nach dem Amoklauf von Winnenden aber ein Konzept dafür vor.

Bernd Dörries

Während die Minister und die Experten den Bericht vorstellten, der auch dafür wirbt, die Strafen für Amokdrohungen zu erhöhen, gab es schon die nächste: Eine Schule in Brühl bei Mannheim musste am Mittwoch vorsorglich geschlossen werden, nachdem ein Schüler einen Amoklauf angekündigt hatte. Das Thema ist also noch ziemlich aktuell.

Nach dem Amoklauf von Winnenden am 11. März hatte die Landesregierung in Stuttgart den "Expertenkreis Amok" gegründet, der zusammen mit Hinterbliebenen Vorschläge erarbeiten sollte, damit so etwas nicht wieder passiert. 60 Menschen haben daran mitgearbeitet und 83 Forderungen aufgestellt - von der Verschärfung des Waffenrechts bis zum Alarmsignal für Schulen. "Man kann Amokläufe nicht garantiert verhindern, gleichzeitig müssen wir alles tun, damit diese Tragödie einzigartig bleibt", sagte Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU).

Für die Experten, darunter Psychologen, Kriminologen, Politiker und Vertreter von Schützenvereinen, ist die Früherkennung von Problemschülern die wichtigste aber auch die schwierigste Methode um Amokläufe zu verhindern. Solchen Taten gehe immer eine Entwicklungsgeschichte voraus, die oft von Warnsignalen begleitet sei, sagte der Vorsitzende des Expertenkreises Udo Andriof. "Es ist wichtig, diese Warnsignale zu erkennen und darüber aufzuklären. Es gilt, eine Kultur des Hinschauens zu entwickeln", sagt er.

Forderung nach mehr Sozialarbeit an Schulen

Die Frage ist dabei, wer hinschauen soll. Mehr Ganztagsbetreuung und Sozialarbeit in den Schulen wünschen sich die Autoren des Berichtes, wissen aber auch, was das alles kostet. Bei allen Verbesserungen müsse man schauen, was der Haushalt hergebe, sagte so auch Ministerpräsident Oettinger. Ähnliches gilt für neue Türknäufe für die Klassenräume, die sich von innen ohne Schlüssel verschließen lassen würden in einem Notfall. Kultusminister Helmut Rau (CDU) bezifferte die Kosten für die Aufrüstung der Schulen mit sicheren Türknäufen allein in Baden-Württemberg auf bis zu 50 Millionen Euro.

Gar nichts kosten würde eine Verschärfung des Waffenrechts. "Die Verfügbarkeit von Waffen ist ein erheblicher Faktor für Amoktaten", sagte der Vorsitzende des Expertenkreises Andriof. Langfristiges Ziel müsse sein, Großkaliberwaffen und andere extrem gefährliche Waffen aus Privathaushalten zu verbannen.

Und wieder wurde klar, wie schnell die Wünsche der Experten und der Hinterbliebenen in der Realität an ihre Grenzen stoßen: Justizminister Ulrich Goll (FDP) sagte, er halte gar nichts von Verboten, das Waffenrecht sei in der Diskussion um Jugendgewalt und Amokläufe "das am meisten überschätzte Thema". Es gebe bereits genug Verbote und Richtlinien, die man nur einhalten müsse. Der Bericht empfiehlt, dass Waffenbesitzer künftig für Kontrollen eine Gebühr bezahlen sollen. Daraus ließe sich mehr Personal einstellen, das die Aufbewahrung in Privathaushalten kontrollieren könnte.

Von den Medien wünschen sich die Experten und Hinterbliebenen, "dass die Berichterstattung nicht zu sehr auf den Täter zu richten ist". Die Fokussierung mache die Tat möglicherweise für Nachahmer attraktiv.

© SZ vom 01.10.2009/abis - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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