Anschläge auf Utøya:Tag des Terrors

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Sie wollten nur ihre Freizeit auf Utøya genießen, als Breivik plötzlich um sich schoss. Die Überlebenden des Massakers sollen im Prozess gegen den Massenmörder nun selbst zu Wort kommen - unter anderem darüber, wie lang es dauerte, bis Hilfe kam. Eine Chronologie des Tages, der Norwegen veränderte.

Der Schrecken, den Anders Behrig Breivk mit seinen Taten am 22. Juli 2011 verbreitete, hat Norwegen traumatisiert. 77 Menschen starben an diesem Tag im Osloer Regierungsviertel und auf Utøya . Für etliche Überlebende des Massakers auf der Ferieninsel kehrt der Terror nun zurück: Von diesem Donnerstag an machen sie ihre Aussagen vor dem Osloer Bezirksgericht, wo Breivik seit dem 16. April der Prozess gemacht wird. Was sich am 22. Juli 2011 abspielte: ein Protokoll.

Trauergestecke, Blumen und norwegische Fähnchen vor der Insel Utoya (hinten im Bild) erinnern an den 22. Juli 2011. Dieser traumatische Tag schockierte nicht nur Norwegen, sondern ganz Europa. (Foto: dapd)

[] Vormittag: Kurz vor den Anschlägen versendet Breivik sein "Manifest 2083: A European Declaration of Independence" an Facebook-Freunde. Breivik stellt außerdem einen von ihm produzierten Propagandafilm mit dem Titel "Knights Templar 2083" ins Internet. Dann fährt er mit einem präparierten Kleintransporter in Richtung Oslo.

[] 15:20 Uhr: Im Regierungsviertel der norwegischen Hauptstadt detoniert ein Sprengsatz. Bei der Explosion kommen acht Menschen ums Leben, zahlreiche Gebäude werden zum Teil schwer beschädigt; auch das, in dem sich das Büro von Ministerpräsident Jens Stoltenberg befindet. Auf ihn hatte es Breivik eigentlich abgesehen, doch der Politiker bleibt unverletzt. In den Krankenhäusern in Oslo und Umgebung wird Katastrophenalarm ausgelöst.

[] Gegen 15:30 Uhr: Die etwa 600 Jugendlichen auf Utøya hören am dritten Tag ihres Feriencamps der sozialdemokratischen Arbeiterpartei erste Nachrichten von dem Attentat in der etwa 40 Kilometer entfernten Hauptstadt Oslo.

[] Gegen 16:30 Uhr: Die Jugendlichen empfangen auf ihren Smartphones Bilder des Anschlags. Das Ausmaß der Katastrophe wird ihnen bewusst, viele versammeln sich in einem Gebäude und diskutieren darüber. "Wir trösteten uns damit, dass wir auf unserer Insel wenigstens in Sicherheit seien", schreibt eine Camp-Teilnehmerin am darauffolgenden Tag in ihrem Blog.

[] Gegen 17:00 Uhr: Der Attentäter Anders Behring Breivik erreicht mit einem kleinen Boot die Insel. Er trägt eine Polizeiuniform und sichtbar zwei Waffen. Er behauptet, er sei zum Schutz der Jugendlichen gekommen, beginnt dann aber zu schießen.

[] 17:10 Uhr: Jugendliche, die sich in der Mitte der Insel versammelt haben, hören vom Ufer her Geräusche. Zunächst vermuten sie, es handle sich um explodierende Ballons. Als ihnen klar wird, dass es sich um Schüsse handelt, bricht Chaos aus. Mehrere Jugendliche wählen eine Notrufnummer. Dort wird ihnen jedoch erklärt, sie sollten die Leitung nicht blockieren, falls ihr Anruf nichts mit dem Anschlag in Oslo zu tun habe.

[] 17:15 Uhr: Augenzeugen zufolge erreicht der Täter den Zeltplatz des Jugendlagers. Systematisch geht er das Gelände ab und schießt aus kurzer Distanz auf jeden, den er dort findet.

[] 17:20 Uhr: Eine Gruppe sucht in einem der wenigen Gebäude auf der Insel Zuflucht. Als die Schussgeräusche näher kommen, fliehen die Jugendlichen durch ein Fenster. Einige von ihnen schicken SMS an ihre Eltern.

[] 17:27 Uhr: Nach Angaben der Polizei wird zu diesem Zeitpunkt der erste Notruf von Utøya abgesetzt. Wie sich später allerdings herausstellen wird, ereignen sich während des Polizeieinsatzes mehrere schwerwiegende Pannen: Der einzige Hubschrauber ist nicht einsatzfähig, es gibt Kommunikationsschwierigkeiten. Untersuchungsleiter Olav Sønderland wird sich Monate nach dem Massaker für die Versäumnisse der Polizei entschuldigen.

[] 17:30 Uhr: Die Jugendlichen fliehen in Richtung Ufer, einige springen ins kalte Wasser, um sich schwimmend in Sicherheit zu bringen. Der Täter schießt jetzt auf alles, was sich bewegt. Ein Mädchen berichtet später, wie sie zu diesem Zeitpunkt auf dem Körper einer toten Kameradin lag und dabei versuchte, sich möglichst still zu verhalten.

[] 17:38 Uhr: Eine Sondereinheit der Polizei bricht von Oslo nach Utøya auf. Die Einsatzleitung entscheidet, über Land zu fahren, weil ein Hubschrauber nicht unmittelbar einsatzbereit ist.

[] 17:45 Uhr: Der Besitzer eines gegenüber der Insel gelegenen Campingplatzes hört seit mehr als einer halben Stunde Schüsse. Doch erst jetzt wird ihm klar, dass sich auf der Insel etwas Schreckliches abspielen muss. Erste Überlebende erreichen schwimmend das etwa 800 Meter von Utøya entfernte Ufer. Sie berichten, dass andere noch im Wasser angeschossen wurden und vermutlich ertrinken würden. Der Besitzer des Campingplatzes und einige Urlauber fahren daraufhin mit mehreren kleinen Booten in Richtung Insel, um Überlebende zu retten.

[] 17:52 Uhr: Erste Polizisten erreichen das Gebiet. Weil sie kein eigenes Boot haben, um nach Utøya überzusetzen, sind die Jugendlichen dem Attentäter auf der Insel weitere qualvolle Minuten lang hilflos ausgeliefert.

[] 18:00 Uhr: Vier Jugendliche, die offenbar noch nicht wissen, dass es sich bei Breivik nicht um einen Polizisten handelt, rennen ihm Schutz suchend entgegen. Alle vier werden erschossen. Andere müssen das Verbrechen aus ihren Verstecken hilflos mit ansehen.

[] 18:09 Uhr: Eine Sondereinheit der Polizei aus Oslo erreicht die Küste gegenüber Utøya.

[] 18:25 Uhr: Spezialkräfte betreten die Insel. Zunächst wissen die Beamten nicht, wie viele Attentäter sich dort befinden. Viele der Jugendlichen harren aus Angst weiter in ihren Verstecken aus. Nach wenigen Minuten wird Breivik gestellt - laut Polizeiprotokoll um 18:27 Uhr, früheren Angaben zufolge gegen 18:35 Uhr. Er ergibt sich widerstandslos und wird festgenommen. Die kleinen Boote, die zur Rettung der Jugendlichen unterwegs waren, sind teilweise zu voll, um weitere Menschen aufzunehmen.

[] 19:00 Uhr: Noch immer werden Überlebende aus dem Wasser gerettet. Auch jetzt wagen einige der Jugendlichen noch nicht, aus ihren Verstecken hervorzukommen. "Ich wusste nicht, ob ich ihnen trauen konnte", sagte eine der Überlebenden. "Ich wusste nicht, wem ich überhaupt noch trauen konnte."

© Süddeutsche.de/dapd/jowe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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