Wolfratshausen:Vokalklang in Perfektion

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Das Ensemble VIP gastierte zum dritten Mal in Sankt Michael. (Foto: Neubauer)

Dresdner-Leipziger Vokalgruppe VIP in der evangelischen Kirche

Von Reinhard Szyszka, Wolfratshausen

Was bedeutet VIP? Venit in Praesepio? Voces in Paradiso? Die bisher erschienenen CDs der Gruppe lassen verschiedene Deutungen zu, und die Künstler selber lüfteten das Geheimnis auch nicht. Doch auch ohne Entschlüsselung der Abkürzung haben die jungen Herren - ehemalige Mitglieder des Dresdner Kreuzchors oder des Thomanerchors - ihren Fankreis in Wolfratshausen. Am Montag ließ sich VIP bereits zum dritten Mal in der evangelischen Kirche hören, und man kann Pfarrer Florian Gruber und seine Mitstreiter nicht genug dafür bewundern, wie sie es immer wieder schaffen, hervorragende Instrumentalisten und Vokalisten in die Kirche zu holen. Viel interessiertes Publikum (=VIP) war auch diesmal erschienen; dennoch war die kleine Kirche nicht brechend voll.

Die Besetzungsstärke von VIP schwankt zwischen vier und acht Sängern; diesmal traten sie zu sechst an: zwei hohe Tenöre, die meist in Altus-Lage sangen, ein "normaler" Tenor, ein Bariton und zwei tiefe Bässe. Eine Konstellation, die natürlich an die King's Singers erinnert, bei denen VIP 2011 einen Meisterkurs absolviert hatte. Und auch im Gesangsstil, im Programmaufbau und in der Moderation war das Vorbild der King's Singers unverkennbar. Ganz wie ihre britischen Kollegen, führt auch VIP die Zuhörer vom Ernsten zum Heiteren, von der Klassik zum Pop. Vielfalt im Programm (=VIP) könnte das Motto beider Gruppen lauten.

Die Künstler eröffneten den Abend mit zwei Stücken des einstigen Kreuzkantors Rudolf Mauersberger. Der Wohlklang der Stimmen, die Reinheit der Intonation und der perfekt abgerundete Gesamtklang ließen sofort aufhorchen. Fünf der sechs Sänger waren im Kreuzchor großgeworden und hatten diese Stücke von Kindheit an "drauf", und der sechste, ein ehemaliger Thomaner, stellte "ein Beispiel für gelungene Integration" dar, wie es der Bassist Johannes Bachmann humorvoll formulierte. Bachmann teilte sich mit dem Tenor Martin Neumann die Moderation des Abends. Neumann war zudem Verantwortlicher Intonations-Pfeifer (=VIP): Vor jedem Stück blies er auf einem winzigen Pfeifchen einen leisen Ton, anhand dessen dann jeder Sänger seinen Einstiegston finden musste. Diese Art des unauffälligen Anstimmens hat VIP auch von den King's Singers übernommen.

Der rote Faden des Abends war "Dresden und Leipzig". Daher kamen im Klassik-Teil überwiegend solche Komponisten zu Ehren, die in diesen Städten gewirkt hatten. Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach durften natürlich nicht fehlen, aber auch die Romantiker wie Felix Mendelssohn Bartholdy und Robert Schumann waren vertreten. Überrascht nahm man zur Kenntnis, dass der Abenteuer-Schriftsteller Karl May nicht nur einige Gedichte in seine Romane eingestreut, sondern diese auch zum Teil selbst vertont hatte - gar nicht mal so schlecht, wie VIP unter Beweis stellte. Heinrich Heine und Friedrich Silcher hatten zwar keinen Bezug zu Dresden oder Leipzig, aber die Mundartdichterin Lene Voigt hat es sich nicht nehmen lassen, die "Loreley" auf Sächsisch nachzudichten: "Ich weeß nich, mir isses so gomisch . . ." Mit dieser "säks'schen Lorelei" entließ VIP das amüsierte Publikum in die Pause.

Der zweite Konzertteil begann mit dem Jägerchor aus Webers "Freischütz". Hier hatte sich ein Versehen im Programmheft (=VIP) eingeschlichen: Carl Maria von Weber lebte natürlich nicht von 1886 bis 1926, sondern genau 100 Jahre zuvor, von 1786 bis 1826. Max Reger wurde von seiner heiteren Seite gezeigt: Die "gantz neu Schelmweys" wartet mit Zeilen auf wie "Wir schieren umb kein Pfaff uns nit". Und so etwas in der Kirche! Auch die "Frühlingslandschaft" des langjährigen Kreuzkantors Ernst Julius Otto ist ein humoriges Werk, karikiert es doch einen Magister, der Frühlingsgefühle nur für das "fürtreffliche Latein" aus seinem Buch empfindet. VIP setzte die Tonmalereien gekonnt um: den langen Magister, die lange Nase und das Muhen der Kühe.

Der letzte Teil war der Popmusik gewidmet, in gekonnten und geschmackvollen Arrangements dargeboten, auch wenn sich hier beim besten Willen keine Beziehungen zu Sachsen mehr finden ließen. Das begeisterte Publikum erklatschte sich zwei Zugaben, ebenfalls aus dem Bereich Pop; zu einer dritten fanden sich die Künstler nicht mehr bereit. Bleibt zu bewundern, mit welch makelloser Intonation und Stilsicherheit die Sänger allen musikalischen Gattungen gerecht wurden. Denn das ist die ultimative Bedeutung der Abkürzung VIP: Vokalklang in Perfektion.

© SZ vom 07.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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