Wolfratshausen:Maskierte Menschlichkeit

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Die Familie Flöz bringt mit ihren Puppen eine düstere Flüchtlingsgeschichte auf die Bühne

Von Julica Ventour, Wolfratshausen

Es regnet in Strömen. Ohrenbetäubender Donner begleitet drei Männer in Regenjacken auf der Suche nach Überlebenden. Im Hintegrund ein Grenzzaun. In der Mitte eine weiße Gestalt. Die Donnergeräusche stoppen. Es herrscht Totenstille. Die Grenzbeamten richten das leblose Etwas auf. Überprüfen seinen Puls. Es ist ein totes Flüchtlingskind - mit einer für die "Familie Flöz" typischen Maske. Als es in einem Leichensack abtransportiert wird, hinterlässt es einzig einen roten Schal - und ein tief betroffenes Publikum in der Loisachhalle.

In ihrem Bühnenstück "Haydi!", das am Mittwoch in der gut gefüllten Halle aufgeführt wurde, thematisiert die internationale Theatergruppe "Familie Flöz" zwei zunächst separate Handlungsstränge. Zum einen den hinter dem Zaun, in dem sich eine dreiköpfige Flüchtlingsfamilie mit Rucksäcken auf den Weg zu einem vermeintlich besseren Ort macht. Zum anderen den vor dem Zaun, in dem sich Grenzbeamte im Büro die Zeit totschlagen. Immer mehr verweben sich die beiden Begebenheiten und reißen die Zuschauer mit in einen Sog aus Nachdenklichkeit und Niedergeschlagenheit.

Die Eltern des toten Flüchtlingskinds bahnen sich ihren Weg an einen besseren Ort. (Foto: Hartmut Pöstges)

Nicht die traurigen Masken der Flüchtlingspuppen sind das Besondere - und auch nicht, dass so gut wie nicht gesprochen wird. Sondern, dass sich Andrés Angulo, Björn Leese, Hajo Schüler diesmal auch ohne Masken dem Publikum stellen und mit ihrer glaubwürdig komödiantischen Leistung als Grenzbeamte dem Publikum in diesem sonst so melancholischen Bühnenprogramm Anlässe zum Lachen geben.

Es ist kein schallendes Lachen. Niemand lacht Tränen. Es ist eher ein verhaltenes Glucksen, das da durch die Menge geht, wenn etwa Andrés Angulo als schillernde Französin ihre Kollegen verhaut oder sich die Grenzbeamten ihre Bearbeitungsordner gegenseitig zuwerfen, um der Arbeit zu entgehen. Dass diese Akten die Schicksale tausender Flüchtlinge behinhalten, wird nur einem bewusst - dem einfühlsamen neuen Mitarbeiter Pedro (ebenfalls gespielt von Andrés Angulo). Immer wieder versucht der pflichtbewusste Grenzbeamte seine Mitarbeiter mit dem roten Schal des toten Flüchtlingskinds zu konfrontieren. Doch diese winken ab. Dass dabei alle drei Schauspieler in die Rollen mehrerer Büroarbeiter schlüpfen und sich auf Französisch, Holländisch und Schweizerdeutsch gegenseitig an lächerlichen Gesten übertrumpfen, tut dem Verständnis der Ereignisse keinen Abbruch.

Überhaupt lebt "Haydi!" nicht von Sprache und Mimik, sondern von der dramatischen Stimmung, die durch Lautsprechereffekte, Leinwandfilme und Geigenmusik erzeugt wird. Letztere setzt bei jeder Flüchtlingsszene ein. In den Büroszenen dagegen ist höchstens das Brummen des Kaffeeautomaten oder das Geplänkel der Grenzbeamten sowie verhaltenes Gelächter aus dem Publikum vernehmbar. Dabei verstärkt das Zusammenspiel zwischen Puppen und Menschen den Kontrast zwischen Komik und Ernst, Humanität und Herzlosigkeit. So scheinen die Flüchtlingspuppen mit ihrer reglosen Mimik mehr Menschlichkeit in sich zu tragen als es die abgestumpften Grenzer in ihrer fleischlichen Hülle auszudrücken vermögen.

Die Grenzer amüsieren sich im Büro. (Foto: Hartmut Pöstges)

Das Stück endet ebenso schockierend, wie es angefangen hat. Wieder liegt das tote Flüchtlingskind in seinem weißen Kleid in der Bühnenmitte. Geigenmusik erweckt die Puppe zum Leben. Langsam erhebt sie sich, den roten Schal in der Hand. Das Bühnenlicht erlischt. Wieder Totenstille. Die Gestalt nimmt sich die Maske vom Kopf. Plötzlich bestrahlt grelles Scheinwerferlicht die Gestalt - es ist Pedro, der mitfühlende Mitarbeiter.

© SZ vom 19.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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