Wolfratshausen:"Ich brauche keinen Schnee"

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Elisabeth Mayrhofer denkt im Advent an Ostern und schreibt im Hochsommer Hirtenspiele. Seit mehr als 30 Jahren. Dennoch ist für sie Weihnachten noch ein wunderbares Rätsel.

Von Stephanie Schwaderer

Wer mit der Kirche nichts am Hut und eine tiefe Abneigung gegen Weihnachtskitsch hat, könnte es noch einmal mit Elisabeth Mayrhofer versuchen: Die 60-jährige Waldramerin, bekannt als Volksmusikantin und Musiklehrerin, hat Theologie und Germanistik studiert. Ihre Mission ist es, die Weihnachtsbotschaft zu verkünden. Ganz und gar ohne missionarisch zu sein.

SZ: Sie haben heuer schon mehrfach die Geburt Christi gefeiert: im Tölzer Kurhaus, in Gelting mit der Musikschule Geretsried, mit dem Marionettentheater Unterschleißheim, dann in Degerndorf und in Waldram - können Sie sich noch auf Heiligabend freuen?

Elisabeth Mayrhofer: Ja! Der Advent ist ein Weg. All die Veranstaltungen dienen ja nur der Vorbereitung. Das hat nichts mit sentimentalen Stimmungsgeschichten zu tun, nichts mit Kitsch und Glühwein und Plätzchen. Ich mag Plätzchen, aber die gibt es bei uns erst an Weihnachten.

Und im Advent?

Gibt's Kletzenbrot. Und an Nikolaus Lebkuchen. Die Adventszeit ist ja eigentlich eine Fastenzeit. Deshalb mag ich diese Adventskalender nicht, bei denen man jeden Tag ein Geschenk auspackt. Furchtbar! Aus meiner Kindheit kenne ich den Brauch, dass man sich abends vor dem leeren Kripperl versammelt und gemeinsam überlegt, was an diesem Tag gut war. Und für alles, was man gut gemacht hat, darf man einen Strohhalm ins Kripperl legen - damit es das Christkind an Weihnachten weich und warm hat. Daran kann man sich freuen. Das andere macht nicht zufrieden.

Ein Innehalten an der Krippe - so könnte man auch Ihre Hirtenspiele charakterisieren. Wann haben Sie begonnen, diese Stücke zu schreiben?

Das war 1987. Mein Mann, der Franz, leitete damals die Münchner Schule für Bairische Musik und hatte 1984 die Aufgabe übernommen, das Münchner Adventsingen auf die Bühne zu bringen - zuerst im Kongresssaal des Deutschen Museums, dann unter der Protektion von August Everding, zu dem wir einen guten Draht hatten, im Prinzregententheater. Vier Vorstellungen gab es dort immer, für ein Wochenende gehörte das Prinze uns! Aber die Auswahl der Stücke hat uns Kopfzerbrechen gemacht. Den ganzen Sommer über haben wir dicke volkskundliche Bücher gewälzt. Lieder und Spiele gibt es in Hülle und Fülle, aber sie stimmen nicht mehr.

Was stimmt nicht mehr?

Die Theologie und die Moral. Die meisten Spiele aus Bayern und Österreich stammen aus dem 18. Jahrhundert. Niedergeschrieben wurden sie im 19. Jahrhundert, und vom Geist dieser Zeit sind sie geprägt. Das ist volkskundlich interessant und sprachlich wunderbar. Aber man will heute nicht dauernd Predigten von Schuld und Sünde und vom Deifi hören. Das ist so ähnlich wie bei alten, mottenzerfressenen Krippenfiguren, die man auf dem Dachboden findet: Sie gefallen uns, aber sie brauchen dringend ein neues Gewand.

Elisabeth Mayrhofer mit einer Maria, die eine Freundin modelliert hat. Beim "Frauentragen" wurde mit ihr die Adventszeit in Waldram eingeleitet. (Foto: Manfred Neubauer)

Wodurch zeichnet sich dieses neue Gewand in Ihren Spielen aus?

Ich suche nach Figuren und einer Sprache, die in unsere Zeit passen, aber zugleich die Tradition wahren und die Form respektieren. Inhaltlich darf man sich dabei nicht zu weit von der Weihnachtsgeschichte entfernen, sonst wird es ein Krampf. Ich nenne das den Asterix-Effekt: Jeder liebt Asterix und will eine neue Geschichte lesen, aber die muss so wie immer sein. Obelix schleppt Hinkelsteine, Troubadix bekommt eines über die Rübe und ein fauler Fisch muss fliegen. Die Aufgabe eines Hirtenspieles ist es, Nährendes für die hungernde Seele zu bieten. Als ich angefangen habe, Stücke für unsere Kinder zu schreiben, sind die Ideen nur so gesprudelt. Und die Kinder wollten immer wieder etwas Neues spielen.

Seit 30 Jahren setzen Sie sich im Sommer hin und schreiben ein Weihnachtsspiel?

Nicht jeden Sommer, aber oft. Das hat schon etwas Schräges. Die Buben haben immer gelacht: Die Sonne scheint, alle gehen zum Baden, aber's Mami bleibt bei 30 Grad daheim und klagt literarisch, wie finster und kalt es ist. Wir haben zum Spaß auch schon mal eine "Selbsthilfegruppe für anonyme Adventsingengeschädigte" gegründet. Tatsächlich ist es aber so: Ich brauche keinen Schnee, um mir die entscheidenden Fragen zu stellen: Wonach suchen die Menschen? Wovor fürchten sie sich? Was brauchen sie, damit es Weihnachten werden kann?

Und wie lautet Ihre Antwort?

Die ist noch nicht fertig. Über die denke ich noch immer nach. Sie fällt womöglich sehr individuell aus. Aber kein anderes Fest ist so tief mit der eigenen Kindheit und dem Kindsein verbunden wie Weihnachten. Es geht um das Geheimnis des Lebens, dem sich niemand entziehen kann. Egal, welche Geschichte der Einzelne hat, ob man in einer Groß-, Klein- oder Patchworkfamilie aufgewachsen ist, glücklich oder unglücklich, es gibt die Sehnsucht: Ich bin geboren, weil ich gewollt bin. Dieser Gedanke konzentriert sich in Jesus Christus. Wir schauen das Kind in der Krippe an und spüren eine Resonanz. Wie war das bei mir? Dann kommt einem, hoffentlich, viel Schönes in den Sinn: Wärme, Angenommensein, Behütetsein, Fröhlichkeit. Aber zugleich werden einem auch Defizite bewusst.

Wie kommen die Hirten ins Spiel?

Hirten waren Tagelöhner, der Abschaum der Gesellschaft. Sie tauchen nur im Lukas-Evangelium auf - und zwar als blanke Provokation! Die Verhältnisse damals waren nicht besser als heute: Das Land besetzt, ein Volk unterdrückt, die Herrschenden brutal und bestechlich. Man muss sich das vorstellen: Das Volk erwartet einen Messias, einen Kriegshelden, der es mit Waffengewalt befreit. Und dann liegt da ein nackertes Kind im Stall und macht in die Windeln. Ich sag das gerne so drastisch, weil wir das alles sehr versüßlicht haben. Lukas bürstelt gegen den Strich. So wie Jesus gegen den Mainstream und das Establishment seiner Zeit angekämpft hat, wenn er zu den Aussätzigen und Zöllnern und Prostituierten ging.

Warum ein Kind und kein Held?

Die Umstände damals waren genau so gruselig, wie sie es heute sind. Und mitten hinein wird einer geboren, der Frieden verheißt. Aber seinen Frieden muss sich jeder erringen. Der Erlöser ist kein Kriegsheld, der die Römer rausschmeißt, sondern einer, der sich ihnen aussetzt. Deshalb spanne ich gerne einen Bogen zu Ostern, wie das auch in vielen alten Hirtenspielen gemacht wird: Im Chor der Engel tauchen plötzlich Folterwerkzeuge auf, das Kreuz, Nägel, Geißeln. Das gefällt den Zuschauern nicht immer. Aber Ostern ist ja auch kein Happy End. Es ist ein Graben, über den der Glaubende hinwegkommen, mit dem man weiterleben muss. Jesus ist durch den Tod in die Auferstehung gegangen, und er hat versprochen, dass er immer wieder mit uns geht.

Harter Stoff für Weihnachten.

Ja, aber Freude kommt nur auf, wenn man Ernst zulässt. Sonst ist es Sentimentalität.

Und wann kann es für Sie Weihnachten werden?

Wenn ich mir das neugeborene Kind zu Herzen nehme. Wenn ich hinhöre und erkenne: Liebe ist kein Gefühl. Gefühle kommen und gehen, verändern sich, in der Familie wie in der Beziehung. "Love ist a need", sagt Marshall Rosenberg, der große Lehrer der Gewaltfreien Kommunikation - Liebe ist ein Bedürfnis. Ich würde sagen: Liebe ist eine Gabe.

© SZ vom 24.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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