Wolfratshausen:Gespenstische Gnome und brüllende Ochsen

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Das Publikum zeigte sich begeistert von der Mussorgski-Bearbeitung des Fauré-Quartetts. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Das Fauré-Quartett begeistert in der Loisachhalle mit Mussorgskis "Bilder einer Ausstellung"

Von Sabine Näher, Wolfratshausen

Wer zweifelte, ob es wirklich noch einer weiteren Bearbeitung von Modest Petrowitsch Mussorgskis Klavierzyklus "Bilder einer Ausstellung" bedurfte, kann dies nach dem Konzert des Fauré-Quartetts in der Loisachhalle nur bejahen. Ob Musik ganz für sich stehen muss oder ob sie einen außermusikalischen Inhalt transportieren darf, das wurde im Laufe der Musikgeschichte sehr unterschiedlich beantwortet. Im späteren 19. Jahrhundert erfreute sich die sogenannte Programm-Musik jedenfalls größter Beliebtheit. Zu deren bekanntesten Werken zählt Mussorgskis 1874 entstandener Klavierzyklus. Der Komponist beschreibt darin musikalisch den Rundgang durch die Gedenkausstellung für den verstorbenen Maler Wiktor Alexandrowitsch Hartmann, mit dem er befreundet war.

Kaum ein Werk dürfte in so vielen Bearbeitungen existieren wie dieses. Etliche gibt es für großes Sinfonieorchester, aber auch für Blas- oder Jazzorchester, für Orgel, für Akkordeon, für zwei Gitarren - und nun auch für Klavierquartett. Letztere hat das Fauré-Quartett (Dirk Mommertz, Klavier, Erika Geldsetzer, Violine, Sascha Frömbling, Viola, Konstantin Heidrich, Violoncello) für sich selbst geschaffen und das Publikum im leider nur zu zwei Dritteln besetzten Saal damit zum Toben gebracht.

Schon das einprägsame Thema der "Promenade", das sich in Variationen wie ein roter Faden durch das Werk zieht und auch den weniger versierten Klassik-Hörern sofort vertraut ist, nahm das Publikum gefangen: Mit gravitätischer Majestät klangschön vorgetragen zog es die Zuhörer in den Bann. Mussorgski soll mit diesem übrigens sich selbst als durch die Ausstellung wandelnden Betrachter geschildert haben.

"Der Gnom" erschien gespenstisch irrlichternd, mit fahlen Streicherklängen. Die Promenade darauf zart und leise, wie mit verhuschten Schritten. Eine rätselhafte Klaviereinleitung führt in "Das alte Schloss"; die Streicher intensivieren diese Spannung. Darauf gibt sich die Promenade wieder majestätisch, doch diesmal wird sie nur vom Klavier vorgetragen. "Die Tuilerien" zeigen "spielende Kinder im Streit"; die Instrumente haschen und necken sich. "Der Ochsenkarren" lässt mit schweren, breiten Klängen das massige Tier vor den Augen erstehen. Die Promenade gibt sich nun als fahler Widerschein.

Aufgeregtes Herumgehüpfe, mit fliegenden Pizzicati der Streicher anschaulich gemalt, illustriert das "Ballett der Küken in ihren Eierschalen". "Samuel Goldenberg und Schmuÿle" zeichnet das Potrait zweier Juden: der eine reich und behäbig, der andere arm und abgerissen. Den Ersten verdeutlicht ein breiter, rezitativischer Tonfall; den Zweiten ein übersprudelnd quirliges Motiv. Darauf malen die Instrumente einen Disput zwischen beiden. Die Promenade gibt sich nun gemessen und breit.

"Der Marktplatz von Limoges" führt anschaulich das dortige muntere Treiben vor Augen. In größtem Kontrast dazu stehen "Die Katakomben" und "Cum mortuis in lingua morta": Schwere, massive Klavierakkorde, seufzende Streicher, dann leise flirrend, wie wispernde Stimmen, beschreiben Hartmanns Gang durch die düsteren Pariser Katakomben. "Die Hütte auf Hühnerfüßen" schildert eine Hexe des russischen Volksmärchens: wild und monumental auftrumpfend, mit dumpfen Streicherklängen.

"Das große Tor von Kiew", das das Promenaden-Thema nochmals aufgreift, wird zur groß angelegten Schlussapotheose, die das Publikum zum Toben bringt. Im ersten Teil hatte das Ensemble seinem Namensgeber Gabriel Fauré mit dessen 1879 vollendetem Klavierquartett Nr. 1 c-Moll gehuldigt. Mit wunderbar schwärmerischem Gestus im 1. Satz, einer hingebungsvollen Geige und zart perlendem Klavier; stimmungsvollen Pizzicati über raschen, wie hingetupften Läufen des Klaviers im 2. Satz - wie ein quirliger Luftgeist. Dunkel verhangen, geheimnisvolle Klänge im 3. Satz, aus denen sich ein schmerzlicher Klagegesang entwickelt, und ein ekstatischer Abgesang im Finalsatz künden von Faurés Liebesverwirrungen um eine gescheiterte Verlobung. In gewisser Weise also auch dies Programm-Musik.

© SZ vom 14.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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