Wolfratshausen:Europa der Genossen

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Sigrid Skarpelis-Sperk (links) und Maria Noichl (rechts) ließen sich von Moderator Stefan König zu Europa befragen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Die Wolfratshauser SPD lässt Parlamentarier über Deutschland und die EU in krisenhaften Zeiten debattieren - und sammelt nebenbei Spenden für Hilfsprojekte ein.

Von Thekla Krausseneck, Wolfratshausen

Europa: Was gibt es da schon zu feiern, angesichts all der bedrückenden Bilder, die täglich in den Medien zu sehen sind? Der Wolfratshauser SPD-Ortsvorsitzende Hans Gärtner hat seine Antwort gefunden. Man dürfe sich nicht der Angst hingeben, sondern müsse einander ermutigen, "für ein Europa, das zusammenhält". Gärtners Einladung zum SPD-Europafest 2015 sind am Samstag gut 70 Besucher gefolgt. Im Foyer der Loisachhalle diskutierten sie in der ersten Hälfte des Abends mit der Europaabgeordneten Maria Noichl und der ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sigrid Skarpelis-Sperk über die aktuelle Lage. Später ging es mit den SPD-Bundestagsabgeordneten Klaus Barthel und Ewald Schurer um "Deutschland und die Zukunft Europas".

Erst bei der Kreiskonferenz am Donnerstag war bekannt geworden, dass das Durchschnittsalter der SPD-Mitglieder in Landkreis bei 61 Jahren liegt; nicht verwunderlich also, dass ergraute Köpfe unter den Besuchern in der Überzahl waren. Auch nicht verwunderlich, dass die Sozialdemokraten, die eine Verjüngung anstreben, die musikalische Gestaltung des Abendprogramms einer jungen Punkrock-Band überlassen hatten: Das Geretsrieder Trio Max spielte in den Pausen seine lauten, gesellschaftskritischen Songs.

Darunter auch den Titel "Stop Watching Us", der sich gegen die Überwachungsmaßnahmen der NSA richtet. Zwar musste das Thema NSA in der offenen Diskussion hinter TTIP, Griechenland und der Flüchtlingskrise zurücktreten, eine Meinung zu dem politischen Statement der jungen Musiker hatte die direkt vor der Bühne sitzende Noichl dennoch. Als Rosenheimerin sei sie schließlich den Anblick der "Pilze" - die Radome genannten Antennenkuppeln in Bad Aibling - gewohnt. Die Ausspähaktionen finde sie "unsäglich", ebenso das inkonsequente Verhalten von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das Freihandelsabkommen müsse vor dem Hintergrund der NSA-Affäre "doppelt vorsichtig" verhandelt werden. Zu TTIP fand die Europaabgeordnete in der Diskussionsrunde deutliche Worte: "Dafür werde ich nicht stimmen, eher fällt mir die Hand ab." Die Wirtschaft müsse wieder den Menschen und ihrer Beschäftigung dienen und nicht länger "den Finanzinteressen einzelner Gruppen".

Viel Zeit nahmen sich Noichl und Skarpelis-Sperk, um auf Fragen aus dem Publikum einzugehen, etwa die nach der umstrittenen Dublin-III-Verordnung, von der Deutschland nach der Ansicht eines Gastes doch am meisten profitiere. Die Verordnung sieht vor, dass jeder Flüchtling dort seinen Asylantrag stellen muss, wo er erstmals europäischen Boden betreten hat. "Dublin ist gescheitert", lautete Noichls Antwort. Eine Ansicht, die Skarpelis-Sperk teilte, jedoch mit dem Zusatz, dass man die Flüchtlingskrise realistisch betrachten müsse: Schuld an ihr seien schließlich US-amerikanische Interventionen. Den Flüchtlingen müsse man jetzt auf jeden Fall helfen, und zwar "von der Ankunft bis zur Ausbildung". Aber nicht, indem man woanders kürze, wie Schäuble gesagt habe - denn das stärke rechtspopulistische Parteien "so wie in Frankreich". Fest stand für die beiden Frauen: Die EU steckt noch mitten in der Entwicklung. Ein großes Problem sei nationalstaatliches Denken, das Skarpelis-Sperk zufolge in vielen Mitgliedsstaaten noch im Vordergrund steht. Auch in der Griechenlandkrise gebe es Bedarf an einer Kurskorrektur; so müsse dringend der Frage nachgegangen werden, wohin das Geld für die Griechenlandrettung wirklich geflossen sei - an die Bürger jedenfalls nicht.

Neben der Bühne und in der verdunkelten Loisachhalle lagerten unterdessen Kisten, Koffer und Tüten voller Spenden: Stofftiere für die Orienthilfe von Christian Springer und Bettwäsche und Kleidung für die Osteuropahilfe. Ein Drittel des eingenommenen Gelds soll an ein Gesundheitsprojekt in Griechenland gespendet werden, das Griechen behandelt, die keine Krankenversicherung haben - immerhin 40 Prozent der Bevölkerung. Um den Besuchern Impulse zum Nachdenken zu geben, wurde zudem eine Auswahl Bücher zum Verkauf angeboten: Neben Rafik Schamis "Damaskus im Herzen und Deutschland im Blick" gab es Glenn Greenwalds "Die globale Überwachung" zu erwerben, dazu zwei Bücher von Yanis Varoufakis, "Time for Change" und "Bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise".

© SZ vom 21.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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