Wolfratshausen:Ein wenig Halt und Fürsorge

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Neun Kinder und Jugendliche sind nach traumatischer Flucht in der früheren Landwirtschaftsschule untergekommen

Von Felicitas Amler, Wolfratshausen

Sie kommen aus Afghanistan, Eritrea, Syrien und dem Irak. Die Ältesten sind 17, der Jüngste ist elf. Alle haben sich ohne Eltern auf eine lange, oft qualvolle Flucht begeben, um fern der Heimat Schutz und eine neue Lebensperspektive zu finden. Sie sind traumatisiert, brauchen Betreuung, Halt und Fürsorge. Die Inselhaus Kinder- und Jugendhilfe hat für diese männlichen unbegleiteten Flüchtlinge im Auftrag des Landratsamts in einem Gebäude der ehemaligen Landwirtschaftsschule Wolfratshausen eine heilpädagogische Wohngruppe eingerichtet. Seit Ende Oktober sind alle neun Plätze belegt. Am Donnerstag stellten die Inselhaus-Verantwortlichen und der Zweite Landrat Klaus Koch (Grüne) das Projekt vor.

Kindliche Hausschuhe und mannsstarke Hanteln: Einblick in eines der Doppelzimmer in der Flüchtlingswohngruppe "Unisono". (Foto: Hartmut Pöstges)

Es sei eine große Herausforderung, mit traumatisierten Jugendlichen umzugehen, sagte Koch. Deswegen sei es dem Landkreis wichtig gewesen, die Aufgabe "in professionelle, sehr bewährte Hände" zu geben. Das Inselhaus stehe für eine hochwertige Betreuung. Für die neun Jugendlichen sind dort fünf Erzieher und Sozialpädagogen - drei Männer, zwei Frauen - plus eine Hauswirtschafterin im Einsatz. Die Jungen sind in Doppelzimmern untergebracht, es gibt Aufenthaltsräume, einen Computer- und einen - noch sehr spärlich eingerichteten - Fitnessraum. Und vor allem, so betonte der Inselhaus-Bereichsleiter für unbegleitete Minderjährige, Stefan Baumgartner, gebe es ein Konzept, das auf drei Säulen ruhe: Schulplatz, Tagesstruktur, Alltag im positiven Sinn. Auch Inselhaus-Geschäftsführerin Angelika Schmidbauer betonte: Bildung sei das oberste Ziel der Betreuung; der Schulbesuch zwingend. Über die Hammerschmiedschule, an der eine sogenannte Übergangsklasse eingerichtet ist, war Baumgartner voll des Lobs. Er dankte dem Rektor Peter Altstidl für die gute Zusammenarbeit. Einer der jungen Flüchtlinge, die erst seit Oktober hier sind, besuche sogar schon die Regelklasse.

Heilerziehungspfleger Stefan Baumgartner ist Bereichsleiter für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im Inselhaus. (Foto: Hartmut Pöstges)

Baumgartner sagte, das Wichtigste im Umgang mit den jungen Flüchtlingen sei Geduld. Sie kämen hier erst langsam zur Ruhe. Was sie hinter sich hätten - das Verlassen ihrer Familien, die wenigstens einen in die Sicherheit schicken wollen, eine oft traumatische Flucht, das Alleinsein hier ohne genaues Wissen, wie es den Angehörigen geht - all dies zerreiße viele von ihnen. Umso mehr sei er "immer noch sprachlos", mit welcher Höflichkeit und Sensibilität sie allen Personen begegneten. Baumgartner gab eine Szene wieder, wie er mit der Gruppe am Straßenrand stand und zwei ältere Frauen sichtlich ängstlich überlegten, ob sie nicht besser die Straßenseite wechseln sollten. Aber blitzschnell habe sich die Gruppe der jungen Flüchtlinge geteilt und ein Spalier gebildet, durch das die Frauen, schwer beeindruckt, gehen konnten. Baumgartner erklärte, er wolle Ängste nicht kleinreden, "aber entkräften". Seine Erfahrungen mit den Flüchtlingen veranlasse ihn zu sagen: "Eigentlich müsste unsere Gesellschaft dankbar sein, weil es so eine Bereicherung ist."

Wolfratshausen Zweiter Bürgermeister Fritz Schnaller (SPD) würdigte das "engagierte Team", sagte, es gehe um "ein Stück unserer gemeinsamen gesellschaftlichen Zukunft" und sicherte dem Inselhaus jede Unterstützung der Stadt zu: "Wir stehen alle voll dahinter und sagen: Das müssen wir schaffen, und das schaffen wir auch."

Im Landkreis sind derzeit 90 unbegleitete minderjährig Flüchtlinge bei verschiedenen Trägern untergebracht. Bis zu 120 sollen es nach aktuellem Stand maximal werden, sagte Klaus Koch am Donnerstag. Auf die Frage, ob auch Pflegeeltern Flüchtlinge aufnehmen sollen, sagte Inselhaus-Geschäftsführer Rolf Merten, das erfordere auf jeden Fall eine sehr gute und langfristige fachliche Begleitung. "Die Bindung muss professionell sein", sagte er. Koch ergänzte dies aus seiner Erfahrung als Sonderschulpädagoge: Man müsse da oft "professionell mit Herausforderungen umgehen, die einem im privaten Rahmen schlaflose Nächte bereiten würden".

© SZ vom 27.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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