Was hat er nicht schon alles versucht, um Klarheit ins Dasein zu bringen, unermüdlich rätselnd im wunderbaren Universum: Er trug Kostüme aus Zeitungspapier, Bücher zerhackend; erschien mit Bischofsmützen aus roten Gießkannen und tibetischen Hauben aus grauen Wassereimern; verspann Riesenwollfäden zu undurchdringlichen Netzen und reckte ein metallenes Ypsilon als Dreizack drohend den Himmlischen entgegen, um Erleuchtung flehend. Nun hat er sie gefunden, die finale Erkenntnis, und sie lautet: Alles ist eine Bürste.
Einige Zuschauer, die Peter Spielbauers neues Programm beim Festival D'Amato zum ersten Mal erleben, grübeln, warum wohl eine lange gelbe Stange das Symbol für das große Ganze sein soll. Der experimentierfreudige Wortakrobat hat es im Nirgendwo gefunden, obwohl die Stange immer da war und auch ganz woanders gelegen haben könnte. Spielbauer demonstriert auf seine Weise, wie sich das Ganze in Teile zerlegt und durch eine Vielzahl von Formen Verwirrung stiftet, obgleich die Stange Urgrund und Urform ist für das, was die Welt im Innersten zusammenhält: Sie dient Zauberlehrlingen als Besenbürste, Flößern als Paddel, oder dem Verzagten als Stütze, ist allerdings wegen der Fliehkraft dem Umfallen geweiht. Sie kann gutmeinende und nichtsnutzige Gebrauchsanweisungen aus globalen Institutionen enthalten, zunächst nur sichtbar als "hervorlugendes Spitzelchen, noch nicht vor der Welt erschauernd". Sie kann größeren Stoff bieten, der erst "intravertikal verhüllt" zu einem "stoffensichtlichen Flaplappen, einem bauschigen Flausch" und schließlich zur Fahne heranwächst, mit deren Hilfe sich mannigfaltiger Blödsinn verkünden lässt.
Manchen Zuschauern ist der Wortakrobat in seiner Abruptheit zu kryptisch
Die Möglichkeiten der gelben "Stange plus" sind unzählig. Sie kann Zahnbürste, Bade-und Hundebürste, oder konisch zulaufende Dreiecksbürste sein, um komplizierten Schmutz zu entfernen. Was die Frage aufwirft, ob es sinnvoll ist, sich mit einer Weichbürste zu waschen, wenn jemand anders stinkt. Oder diese: Spinnt einer, der so tut, als ob er seinem Hund ein nicht vorhandenes Stöckchen wirft?
Der Mensch, der nach Höherem strebt, darf das gelbe Ding als Fernrohr ins All nutzen, um einem längst verklungenen philosophischen Diskurs zu lauschen, der Erkenntnistheorie von Habermas zum Beispiel oder Einsteins Satz, man müsse die Welt nicht verstehen, sondern sich nur in ihr zurechtfinden. Dabei ist alles so einfach: "Auch ein Auto ist nur eine Hohlbürste mit Rollborsten".
Steckt der listige Alltagsforscher die Stange in einen Pflasterstein, entsteht nach einer rasend schnellen, wortreichen, lautmalerischen Interpretation die simple Botschaft: Hier stehe ein Kreuz ohne Querbalken, ein Minarett ohne Balkon oder ein Ausrufezeichen, das in seinen Punkt gestürzt ist. Ein Paar aus Beuerberg gibt zu, im Bürstenmodell als Nachfolger der Urknalltheorie keinen roten Faden zu finden, denn immer, wenn der kryptische Spielbauer ein einfaches Beispiel gebe, breche er abrupt ab. Eine belustigte Gruppe Kabarettfreunde aus Egling dagegen wünscht sich die geniale Dreiecksbürste zum Säubern schwieriger Stellen. Begeistert zeigt sich ein Ehepaar aus Wolfratshausen von Spielbauers großartiger Wortkunst und seiner eleganten Körperakrobatik. Und sie bewundern sein Talent, auf Unvorhergesehenes im Publikum einzugehen.
Am Ende nimmt der Worttänzer und Objekttäter sein "liebes Publikum" mit auf die Reise von der planetarischen Kugelbürste in die sich grandios verschleißende Superpower der großen Himmelsbürste, die sich mit Milliarden anderer Sonnen und den freifliegenden Kreiselbürsten der Milchstraßen die Mühe macht, ihre Strahlen in Form von schmalen gelben Röhren in nur acht Minuten zu uns zu schicken. Spielbauer endet: "Schönes Leben noch. Aber Achtung, in jeder Bürste verbirgt sich auch dunkle Materie." Enthusiastischer Applaus für diesen ungewöhnlichen und einmaligen Künstler.