Weltgeschichte in Waldram:Ein zweites "Coming home"

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Assi Weinstein (links), 1945 im DP-Lager Föhrenwald geboren, und die Vorsitzende des Badehaus-Vereins, Sybille Krafft. (Foto: OH)

Assi Weinstein fand einst im jüdischen Lager Föhrenwald eine Heimat auf Zeit. Jetzt hat sie es mit ihrem Sohn Amnon besucht

Von Wolfgang Schäl, Wolfratshausen

Kann Kunst Trost und Hoffnung schaffen, kann sie das Böse überwinden und Menschen zu Augenblicken von Zuversicht, ja tiefer Freude verhelfen? Es ist die Musik, die dies vermag, dessen ist sich der Geigenbauer Amnon Weinstein sicher. Er hat in den 1990er-Jahren in seiner Werkstatt in Tel Aviv begonnen, alte Violinen zu sammeln und zu restaurieren, Instrumente, mit denen es eine besondere Bewandtnis hat: Opfer des Nationalsozialismus haben in der Zeit des Holocaust darauf gespielt, in den verhängnisvollen Jahren, als der Hass auf Juden alles Menschliche erstickt hat. Manchem hat das Instrument damals das Leben gerettet, aber die Erinnerung an das Grauen hat viele Musiker später davon abgehalten, weiter darauf zu spielen. Deren Geigen hat Weinstein zu sich genommen, darunter ein Instrument aus Auschwitz, in dem sich noch Aschereste fanden.

Es sind meist einfache Geigen, die stark beschädigt und aufwendig zu restaurieren waren, für den heute 78-jährigen Weinstein aber sind sie das Wertvollste schlechthin. Denn es sind keine Museumsstücke, mit ihnen wird konzertiert, die Instrumente erhalten wieder eine Stimme, sie vermitteln Aufbruch und neues Leben. "Violinen der Hoffnung" ist deshalb ein Programm überschrieben, das Amnon Weinstein begründet hat und das er gemeinsam mit seinem Sohn Avshalom weiterführt.

Eines der Musikprogramme unter diesem Vorzeichen ist am vergangenen Wochenende mit fünf israelischen Musikern des Ensembles "Villa Musica" im Schloss Dachau erklungen, die Programmgestaltung orientierte sich an Programmen, die einst Häftlingsorchester der Konzentrationslager gespielt haben. Das Konzert war aber auch Anlass für die Gäste aus Israel, zuvor einen Abstecher nach Wolfratshausen zu unternehmen, um das baulich bereits fertiggestellte, innen aber noch nicht eingerichtete Waldramer Badehaus zu besuchen, das unter anderem an die Zeit des jüdischen Lagers Föhrenwald für Displaced Persons (DP) erinnert.

Den Kontakt hatte Sybille Krafft, die Vorsitzende des Badehaus-Vereins, in die Wege geleitet, vor wenigen Wochen ist sie selbst nach Tel Aviv gereist, um den schon betagten Geigenbauer und Zeitzeugen zu besuchen. Der konnte aus gesundheitlichen Gründen an der Visite in Deutschland nicht teilnehmen, wohl aber waren Assi, die Ehefrau Amnon Weinsteins, die 1945 selbst im DP-Lager Föhrenwald geboren wurde, und ihr gemeinsamer Sohn Avshalom in der Delegation vertreten. Beeindruckt zeigte sich Assi insbesondere von der ständigen Fotoausstellung über das Lager Föhrenwald, die an der rückwärtigen Begrenzungsmauer des Badehauses installiert ist, und von dem geräumigen Dachgeschoss, in dem einmal "Bäume der Erinnerung" an die Zeit des Holocaust gemahnen sollen. Sie könne es kaum glauben, sagte sie, mit welcher Ernsthaftigkeit und welchem Aufwand dieses Badehausprojekt umgesetzt wurde. Die Ankunft ihrer Familie in Föhrenwald sei damals wie ein "Coming home" gewesen, die Menschen hier hätten sich wie in einem Kibbuz gefühlt. Und: "Das Leben ging weiter", ihre Mutter habe hier ihren zweiten Mann kennengelernt.

Mit Assi Weinsteins Familie verknüpft ist ein kaum vorstellbares Stück Kriegsgeschichte, ein Beispiel dafür, dass in der düsteren NS-Zeit ein Stück Hoffnung möglich war. Assis Vater war Asael Bielski, ein Partisan, der gemeinsam mit seinem Bruder Tuvia Hunderte Gefangene in einem Ghetto in Weißrussland befreite und ihnen so das Leben rettete. Mit Hilfe des berühmten Partisanen-Duos entstand schließlich mitten in einem völlig unzugänglichen Waldgebiet ein nahezu autarkes Gemeinwesen mit Schule, Krankenhaus, Gericht und Synagoge, das gleichzeitig als Basislager für Aktionen der Partisanen diente. "Bielsk-Schtetl" oder "Jerusalem im Wald" wurde die geheime Ansiedlung genannt. Asael Bielski fiel noch im Jahr 1945 als Soldat der Roten Armee, die Geschichte der Partisanen-Brüder wurde 2008 unter dem Titel "Unbeugsam" verfilmt.

Der Besichtigung des Badehauses folgte ein kleiner Rundgang durch Waldram, geführt von Eva Greif, Vorstandsmitglied im Badehausverein, die den Gästen historische Gebäude und Plätze des ehemaligen DP-Lagers zeigte. Ihren Abschluss fand die Stippvisite schließlich bei einer Familie, die selbst durch ihre musikalischen Aktivitäten überregional bekannt ist: bei Franz und Elisabeth Mayrhofer. Franz Mayrhofer war bis zu seiner Pensionierung langjähriger Leiter der renommierten Wastl-Fanderl-Schule für bayerische Musik und verfügt selbst über eine Sammlung von mehreren Dutzend Geigen, die Avshalom Weinstein mit größtem Interesse begutachtete. Sohn Gregor Mayrhofer verkehrt beruflich längst in höchsten Kreisen: Er ist Komponist und rechte Hand des Chefs der Berliner Philharmoniker, Sir Simon Rattle. Der Besuch der Musiker wird auch in Israel zu verfolgen sein: Ein Dokumentarfilmer verfolgte die Eindrücke in Waldram mit der Kamera.

© SZ vom 20.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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