Waldschule:Unterricht in der Natur

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Anhand eines Borkenkäfermodells, 40 Mal größer als die nur stecknadelgroßen Tierchen, erklärte Försterin und Waldpädagogin Katharina Brändlein den Schülern einer dritten Klasse der Lettenholzgrundschule, wie das Insekt die heimischen Wälder schädigt. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Lettenholzschule in Bad Tölz ist eine von elf Pilotschulen in Bayern, an der die BayWa-Stiftung ihr Projekt "Waldschule" testet. 21 Drittklässler verbrachten einen Tag im Wald und pflanzten ihren eigenen Baum

Von Katharina Schmid

Kinderhände tasten sich an Baumrinde entlang, fühlen, wo Äste vom Stamm abgehen, ob die Rinde Moos bedeckt ist, glatt oder rau. Die Augen der Kinder sind verbunden. Nur in ihrer Vorstellung sollen die Drittklässler ein Bild des abgetasteten Baumes entwickeln und ihn später, ohne Augenbinde, wiedererkennen. Keine leichte Aufgabe, der sich die 21 Schüler und Schülerinnen der Klasse 3b der Tölzer Grundschule am Lettenholz am Donnerstag im Rahmen eines Waldtags gestellt haben. Die Schule ist eine von elf Pilotschulen in Bayern, an der die BayWa-Stiftung ihr neues Projekt "Waldschule" startet.

Försterin und Waldpädagogin Katharina Brändlein aus Murnau führte die Schulklasse durch ein kleines Waldgebiet am Rande des Ellbach- und Kirchseemoores hinter dem Freibad Eichmühle. Spielerisch entdeckten die Kinder den Wald und seine Bewohner, erfuhren, warum der Borkenkäfer den Fichten so zu schaffen macht, welche Käfer sich im Totholz wohlfühlen und etwa dass Kröten besonders gerne unter umgefallenen Bäumen überwintern. Der Höhepunkt aber war für viele Kinder, am Ende des Vormittags einen eigenen Baum zu pflanzen. "Darauf freue ich mich am meisten", sagte die achtjährige Greta Falkner. Warum auch sie sich darauf so sehr freue, konnte Lucy Kröner, ebenfalls acht Jahre alt, erklären: "Weil man da was macht mit Erde und Natur." Und weil sie den Baum in Zukunft wieder besuchen könne, um zu schauen, "ob er schon gewachsen ist".

Genau dieses Ziel möchte die BayWa-Stiftung mit dem 2018 gestarteten Projekt "Waldschule" erreichen. Grundschulkinder wieder näher an die Natur bringen, sie mit dem Ökosystem Wald vertraut machen und dem Trend entgegen wirken, dass viele Kinder ihre freie Zeit oftmals vor allem im Umgang mit elektronischen Medien verbringen. "Die Distanz von jungen Menschen zur Natur steigt", sagte die Geschäftsführerin der Stiftung, Maria Thon, am Donnerstag. Neben dem Waldtag solle der selbstgepflanzte Baum, der mit ihnen heranwachse, den Kindern wieder eine besondere Verbundenheit zum Wald geben.

Diese Verbundenheit zur Natur ist bei den Kindern an der Tölzer Lettenholzgrundschule noch weit mehr gegeben als beispielsweise in den drei Münchner Schulen, in welchen das Projekt in der vergangenen Woche gestartet worden war. Auf Brändleins Eingangsfrage, wer schon einmal im Wald gewesen sei, hoben in Tölz alle 21 Schüler den Arm. In München sei das anders gewesen, berichtete die Projektverantwortliche Sarah Pfister. Dort seien viele der Kinder noch nie im Wald gewesen. Auch Försterin Brändlein, die das Projekt in ganz Bayern als Waldpädagogin begleitet, beobachtet: "Die Kinder haben keine unmittelbare Naturerfahrung mehr." Manche hätten noch nie Erde angefasst, geschweige denn ein Loch gebuddelt, um einen Baum zu pflanzen.

Genau diese Erfahrung durften die Tölzer Schüler am Donnerstag machen. In Absprache mit dem lokalen Förster war ein Platz im Wald ausgemacht worden, an dem die Kinder ihre eigene kleine Weißtanne pflanzten. Weißtannen seien deshalb ausgesucht worden, da sie als heimischer Zukunftsbaum den künftigen Mischwald stärken würden, so Brändlein.

In einem lichten Waldstück nahe der Allgaustraße, in dem der Borkenkäfer aktiv gewesen war, zeigte sie den Kindern, wie mit einer Hacke ein Loch in den Waldboden geschlagen werden musste, um anschließend das junge Bäumchen einzusetzen. "Die Grasnarbe müsst ihr wegdrücken und das Moos zur Seite schieben", erklärte sie den neugierigen Zuschauern. Anschließend hieß es, den Baum tief genug in den Waldboden zu setzen und seine Wurzeln mit der ausgehobenen Erde festdrücken. Ein wenig Schafwolle an der Baumspitze diene als Verbissschutz. Nach der Anleitung vom Profi durften die Kinder selbst ans Werk. "Das ist auf jeden Fall besser als normale Schule", sagte Julian Engelhardt zu dem Vormittag in der Natur. Er sei zwar gerne draußen, beim Trampolinspringen zum Beispiel, aber eher selten im Wald. Das werde sich "vielleicht" ändern, wenn er in Zukunft nachschaue, wie sein Baum gewachsen sei. Dass es 70 Jahre dauern kann, bis aus einem Bäumlein ein so stattlicher Baum wie die umstehenden werde, erstaunte die Schüler ganz besonders.

Auch Lehrerin Sarah Majores kann dem Projekt viel abgewinnen. Im Heimat- und Sachunterricht mache der Wald einen großen Teil des Lehrplans in der 3. Jahrgangsstufe aus. Das habe sie auch bisher immer mit einem Unterrichtsgang in den Wald verbunden, jedoch bedeute das Projekt vor allem durch das Bäume pflanzen eine "Erweiterung" dieses Waldtages. Zusätzlich erhalten die Schüler ein Waldtagebuch, das für den Einsatz im Unterricht gedacht ist und anhand dessen die Kinder die verschiedenen heimischen Baumarten kennen lernen können. Nach der Pilotphase an elf bayerischen Schulen soll das Projekt evaluiert werden und anschließend allen interessierten Schulen zur Bewerbung offen stehen. Die 1998 gegründete BayWa-Stiftung mit Sitz in München unterstützt diverse Projekte zu Bildung, gesunder Ernährung, Natur und erneuerbaren Energien.

© SZ vom 05.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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