Wackersberg:Was die feinen Menschen tun

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"Wir sind das Plankton im Meer der Finanzhaie" - Der Kabarettist Claus von Wagner durchquert beim Kramerwirt die undurchdringliche Welt der Banken und Börsen.

Petra Schneider

Begeisternder Auftritt: Claus von Wagners Kapitalismuskritik ist immer auch selbstironisch und menschenfreundlich. (Foto: Manfred Neubauer)

Wenn einer sich zwei Stunden dem Thema Finanzmärkte widmet und seine Zuhörer weder in Rage versetzt noch sie zum Einschlafen bringt, dann muss er schon Claus von Wagner heißen. Natürlich weiß man danach nicht besser Bescheid über Derivate, Leerverkäufe oder Wertpapiere mit so klingenden Namen wie Nixe oder Loreley. Auch die kryptischen Satzungetüme, die Wagner aus der Financial Times vorliest, tragen nicht unbedingt zum besseren Verständnis bei.

Sollen sie auch gar nicht, denn Undurchschaubarkeit gehört offenbar zur Funktionsweise des Finanzsystems, und dieses zu entlarven wiederum gehört zum Programm des Kabarettisten von Wagner. "Theorie der feinen Menschen" hat der 35-Jährige sein viertes Soloprogramm genannt, das er am Donnerstag im ausverkauften Kramerwirt vorstellte - ein merkwürdig antiquierter Titel, der ein wenig an die Schriften von Gesellschaftsreformern aus dem 18. Jahrhundert erinnert.

Entsprechend gehaltvoll ist denn auch das Programm, das mit Nummernkabarett nichts gemeinsam hat. Was der gebürtige Münchner mit den hannoveranischen Wurzeln, der in Miesbach aufgewachsen ist, präsentiert, ist ein Ein-Personen-Stück, fast eine Tragikomödie. Seine Figur Klaus Neumann ist in der Höhle des Löwen gefangen - im Tresorraum der Deutschen Bank. Dort versucht er eine Rede über seinen verstorbenen Vater zu schreiben, der als Wirtschaftsprüfer Angehöriger eines Systems war, das der Protagonist weder versteht noch interessant findet. "Finanzmärkte und mein Vater", gesteht Wagner, "das sind die beiden Themen, zu denen ich am allerwenigsten zu sagen habe."

Wagner spielt umwerfend begeisternd und selbstironisch und, bei aller ernst gemeinten Kapitalismuskritik, mit einer menschenfreundlichen Haltung. Selbst in den Nebensätzen lauern Pointen, Leitmotive werden geschickt eingeflochten und wilde Metaphern gefunden. Leerverkäufe zum Beispiel: Das seien "Pferdewetten ohne Pferde, Reiter und Rennbahn." Auch Sätze voller Poesie und philosophischer Tiefe fallen: "Wir sind das Plankton im Meer der Finanzhaie", sagt Neuman/Wagner. Oder: "Politiker lügen nicht, wenn sich das Volk nur zu dem, was sie sagen, richtig verhält."

"Mutti" Merkel und der aalglatte Wirtschaftsprüfer Dr. Gump

Natürlich hat er "Mutti" Merkel drauf, was unter Kabarettisten inzwischen ebenso zum Standardprogramm gehört wie die hämische FDP-Schelte ("Was war das für ein wehleidiges Quietschen, fast so, als wäre jemand auf die FDP draufgetreten"). Anders als die meisten seiner Kollegen hält Wagner sein Programm aber nicht nur durch einen roten Faden zusammen, sondern entspinnt einen Plot. Beinah spannend wird es im Verlauf des Programms: Neumann, der übrigens selbst im väterlichen Wirtschaftsprüfungsunternehmen arbeitet, deckt fast einen Skandal auf, hat fest vor, dem aalglatten Wirtschaftsprüfer Dr. Gump die Meinung zu sagen und erstickt beinah im Keller. Freilich ist das eine schöne Metapher dafür, dass wir womöglich alle zugrunde gehen an und in den Mechanismen unserer Wirtschaftswunderwelt, gefangen in der Hand von Bankern, die sich nicht scheuen, Wetten auf den Tod von Senioren abzuschließen.

So einfach macht es sich Wagner zum Glück aber nicht. Sein Protagonist Neumann entrüstet sich zwar, hält dann aber doch lieber still und nimmt noch schnell ein Lachsröllchen. Und schließlich ärgert er sich auch über den Bettler vor dem Bio-Supermarkt. "Wieso steht der da, wo ich doch eh schon im Bio-Markt einkaufe?" Ist moralisches Handeln also aufrechenbar? So wie bei den Dr. Gumps dieser Welt und ihren Spenden und Charity-Galas?

Die feinen Menschen, von denen Wagner spricht: Wer sind sie? Womöglich gibt es sie ja nur in der Theorie.

© SZ vom 20.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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