Vom Chaos zur göttlichen Ordnung:Lebendige Erkenntnis

Lesezeit: 3 min

Tenor Nikolaus Pfannkuch (stehend) überzeugte bei Haydns "Schöpfung" ebenso als Solist wie Judith Spiesser (Sopran) und Thomas Stimmel (Bass). (Foto: Harry Wolfsbauer)

Günther Pfannkuch leitet eine beeindruckende Aufführung von Haydns Oratorium "Die Schöpfung" in Penzberg

Von Klaus Peter Volkmann, Penzberg

Kann man das Nichts beschreiben? "Musik spricht dort, wo Worte fehlen", erkannte einst Hans Christian Andersen. Den besten Beweis dafür liefert Joseph Haydns berühmtes Oratorium "Die Schöpfung", das die Menschen immer wieder aufs Neue begeistert - so auch am Sonntag in Penzberg bei einer gelungenen Aufführung durch das Vokalensemble der Stadt, zusammen mit dem Sinfonieorchester im Pfaffenwinkel und den Solisten Judith Spiesser (Sopran), Nikolaus Pfannkuch (Tenor) und Thomas Stimmel (Bass) unter der Leitung von Günther Pfannkuch in der Stadtpfarrkirche Christkönig.

Haydn lässt sein Werk im "Chaos" beginnen - nach der ursprünglichen Bedeutung des Wortes also im absoluten "Nichts". Er beschreibt diesen Zustand mit Tönen, spricht auf diese Weise Empfindungen an, denen man sich beim Zuhören nicht entziehen kann. Nach einer Ehrfurcht gebietenden, eisig-nackten Oktave im vollen Orchesterklang folgen etwa 50 Takte "ohne Ziel", mit wechselnden, fast orientierungslos-ruhigen Harmonien, die das Gefühl von Leere vermitteln, ehe der Erzengel Raphael vom Eingreifen Gottes berichtet, der seine Schöpfung mit der Erschaffung des Lichts beginnt. Der Chor kündigt das elementare Ereignis im Pianissimo an, eine unvermittelte gewaltige Fortissimo-Explosion in strahlendem Tutti-C-Dur beendet die Leere des orientierungslosen "Nichts" - die Entstehung der Welt hat begonnen.

Das Libretto des Oratoriums, ursprünglich Georg Friedrich Händel zugedacht, beruht auf dem Alten Testament und Versen eines englischen Epos. Darin erzählen die Erzengel Raphael (Bass), Gabriel (Sopran) und Uriel (Tenor) sowie später die ersten Menschen - Adam (Bass) und Eva (Sopran) - in Rezitativen und Arien von der sechstägigen Schöpfungsgeschichte.

Den Chor setzt Haydn ein, um das Geschehen kommentierend zu begleiten und Gott immer wieder in gläubiger Dankbarkeit zu preisen für die Wunder, die er in seiner Schöpfung vollbringt.

Warum Haydns Musik zeitlos berührt, hat viele Gründe: Sie ist schlicht und doch kunstvoll, sie porträtiert die Bilder der Bibel musikalisch eingängig und anrührend; und sie haucht dem Geschehen Leben ein - jenseits des Verstandes. Günther Pfannkuch ist es gelungen, dieses Leben den Zuhörern als begeisterndes Erleben zu vermitteln.

Die Atmosphäre des Chaos zu Beginn aus dem Stand heraus perfekt zu treffen, ist nicht leicht. Klangliche Unsicherheiten im Chor und Orchester sind da keine Seltenheit. Doch mit dem ersten Schöpfungsakt des "Es werde Licht" war diese Schwelle in Penzberg überwunden, danach blieben kaum mehr Wünsche offen. Besonderen Anteil daran hatten die drei Solisten, die in ihren Partien eine Harmonie erreichten, wie sie nur selten zu erleben ist.

Besonders beeindruckte Nikolaus Pfannkuch mit großer stimmlicher und gestalterischer Bandbreite zwischen kraftvoll-dramatischen und empfindsam-lyrischen Momenten - etwa bei der Beschreibung des majestätischen Aufgangs der Sonne, gefolgt vom Weg des Mondes durch die stille Nacht. Nicht weniger faszinierend Judith Spiessers makelloser, strahlender Sopran, der sich in den vielen lyrischen Abschnitten ihrer Rollen als absolute Idealbesetzung erwies. Auch Thomas Stimmels klar artikulierender Bass setzte großartige Akzente, etwa bei Gottes Auftrag "Seid fruchtbar" und den lautmalerischen Rezitativen der Erschaffung der Natur und aller "lebenden Geschöpfe". Als Höhepunkte erklangen die Augenblicke reiner Harmonie in den Terzetten - und zuletzt noch einmal im dankbaren Duett von Adam (Bass) und Eva (Sopran), die ihr Leben im Einklang mit Gottes Natur begreifen - ehe Uriel (Tenor) zum Schluss eindringlich vor dem "falschen Wahn" warnt, dem der Mensch allzeit verfallen kann, wenn er seine Grenzen nicht erkennt.

Dem Chor hat Haydn in seiner Schöpfung keine minder bedeutende Rolle zugedacht als den Solisten. Er hat vor allem die Aufgabe, Gottes Werk nach jedem Schöpfungsakt in großen Chorsätzen machtvoll zu preisen, muss dabei immer wieder komplex fugierte Einsätze bewältigen und darf bei allem Jubel das Feingefühl für eine differenzierte Gestaltung nicht verlieren. All dies ist dem Vokalensemble Penzberg vortrefflich gelungen. Die Grundlage dafür bereitete die ausgewogene klangliche Basis und solide Leistung des Sinfonieorchesters im Pfaffenwinkel, das vor allem in der anspruchsvollen Begleitung der Rezitative und Soloarien gefordert war.

Günther Pfannkuch hatte seine Ensembles sehr gut vorbereitet und damit keine Mühe, sich auf die Gestaltung zu konzentrieren - mit einem großartigen Ergebnis, das die Besucher mit lang anhaltendem Beifall belohnten.

© SZ vom 18.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: